orwell,_george_-_tage_in_burma
traten ans Fenster. Der Sampan, den Flory am anderen Flußufer gesehen hatte, lag jetzt am diesseitigen Ufer am Fuß des Rasens, und einer der Männer klammerte sich an einen Busch, um ihn in Ruhe zu halten. Der Burmane in dem grünen Gaunghaung kletterte heraus.
»Das ist einer von Maxwells Förstern!« sagte Ellis in ganz verändertem Ton. »Mein Gott! Da ist etwas passiert!«
Der Förster sah Mr. Macgregor, verbeugte sich eilig und geistesabwesend und wandte sich wieder zu dem Sampan. Vier andere Männer, Bauern, stiegen nach ihm aus und hoben mit Mühe das seltsame Bündel, das Flory in der Ferne gesehen hatte, an Land. Es war sechs Fuß lang und wie eine Mumie in Tücher gehüllt. Jeder fühlte, wie sich etwas in seinem Innern zusammenzog. Der Förster blickte zur Veranda hinauf, sah, daß es keinen direkten Zugang gab, und führte die Bauern rund um das Clubhaus zur Vorderseite. Sie hatten sich das Bündel auf die Schultern geladen, wie die Träger bei einem Begräbnis den Sarg tragen. Der Butler war wieder in den Salon geflitzt, und selbst sein Gesicht war auf seine Art blaß - nämlich grau.
»Butler!« sagte Mr. Macgregor scharf.
»Sir!«
»Geh schnell und mach die Tür zum Spielzimmer zu. Halte sie verschlossen. Die Memsahibs brauchen das nicht zu sehen.«
»Ja, Sir!«
Die Burmanen mit ihrer Last kamen schwerfällig den Gang entlang. Als sie eintraten, stolperte der Führer und fiel beinahe hin; er war auf eine der weißen Kugeln getreten, die am Boden verstreut lagen. Die Burmanen knieten nieder, senkten ihre Last auf den Boden und blieben daneben mit seltsam ehrfürchtigen Mienen stehen, leicht vorgebeugt, die Hände zu einem Shiko gefaltet. Westfield war auf die Knie gefallen und zog das Tuch zurück.
»Du lieber Himmel! Seht ihn nur an!« sagte er, aber nicht besonders überrascht. »Seht euch den armen kleinen - !«
Mr. Lackersteen hatte sich mit einem blökenden Laut ans andere Ende des Raumes zurückgezogen. Von dem Augenblick an, als das Bündel an Land gehoben worden war, hatten sie alle gewußt, was es enthielt. Es war die Leiche von Maxwell, mit Dahs fast in Stücke geschnitten von zwei Verwandten des Mannes, den er erschossen hatte.
XXII
Maxwells Tod hatte Kyauktada aufgerüttelt und würde noch ganz Burma aufrütteln; von dem Fall - ›dem Fall Kyauktada, wissen Sie noch?‹ - wurde noch Jahre später gesprochen, nachdem der Name des unglücklichen jungen Mannes längst vergessen war. Aber um ihn persönlich trauerte niemand besonders. Maxwell war fast eine Null gewesen - eben ein »guter Kerl« wie jeder andere der zehntausend ex colore guten Kerle in Burma und hatte keine engen Freunde gehabt. Niemand unter den Europäern trauerte ehrlich um ihn. Aber das soll nicht heißen, daß sie nicht aufgebracht waren; im Gegenteil: zunächst waren sie fast wahnsinnig vor Zorn. Das Unverzeihliche war geschehen - ein weißer Mann war getötet worden. Wenn das geschieht, geht eine Art Schauder durch die Engländer im Osten. Etwa achthundert Menschen werden alljährlich in Burma umgebracht; sie bedeute n nichts: aber die Ermordung eines weißen Mannes ist eine Ungeheuerlichkeit, ein Sakrileg. Der arme Maxwell würde gerächt werden, das war sicher. Aber nur ein oder zwei Diener und der Förster, der seine Leiche gebracht und ihn gern gehabt hatte, vergossen Tränen um seinen Tod.
Andererseits war niemand wirklich erfreut, bis auf U Po Kyin. »Das ist geradezu ein Geschenk des Himmels!« sagte er zu
Ma Kin. »Ich hätte es selbst nicht besser arrangieren können. Das einzige, was ich brauchte, damit sie meinen Aufstand ernst nahmen, war ein bißchen Blutvergießen. Und da haben wir es! Ich sage dir, Ma Kin, jeden Tag wächst meine Gewißheit, daß eine höhere Macht für mich arbeitet.«
»Ko Po Kyin, du bist wahrhaftig schamlos! Ich weiß nicht, wie du es wagen kannst, so etwas zu sagen. Schaudert es dich nicht, daß ein Mord auf deiner Seele liegt?«
»Was? Ich? Mord auf meiner Seele? Wovon redest du? Ich habe in meinem ganzen Leben nicht einmal ein Huhn getötet.«
»Aber du profitierst von dem Tod dieses armen Jungen.« »Profitieren! Natürlich profitiere ich davon. Und warum nicht,
wenn ich fragen darf? Bin ich daran schuld, wenn jemand anders einen Mord begeht? Der Fischer fängt Fische und wird dafür verdammt. Aber werden wir verdammt, weil wir den Fisch essen? Bestimmt nicht. War um den Fisch nicht essen, wenn er einmal tot ist? Du solltest die Heiligen Schriften sorgfältiger
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