orwell,_george_-_tage_in_burma
zur Erde und erhob sich sofort wieder in die Luft, als Flo sie packen wollte. Flory und das Mädchen blieben wie auf Verabredung stehen, um die Blumen anzusehen. Beide wurden plötzlich von einem unvernünftigen Glücksmoment erfaßt.
»Sie dürfen wirklich bei dieser Sonne nicht ohne Hut ausgehen«, wiederholte er, und irgendwie lag etwas Vertrauliches darin. Er konnte nicht umhin, sich irgendwie auf ihr kurzes Haar zu beziehen, er fand es so wunderschön. Darüber zu sprechen war so, als ob man es mit der Hand berührte.
»Schauen Sie, ihr Knie blutet«, sagte das Mädchen. »Haben Sie sich das geholt, als Sie mir zu Hilfe kamen?«
Auf seinem khakifarbenen Strumpf war ein purpurnes kleines Rinnsal von trocknendem Blut zu sehen. »Das ist weiter nichts«, sagte er, aber keiner von ihnen hatte in diesem Augenblick das Gefühl, daß es nichts wäre. Sie begannen mit außerordentlichem Eifer über die Blumen zu plaudern. Das Mädchen ›schwärmte‹ für Blumen, wie sie sagte. Und Flory führte sie den Pfad hinauf und verbreitete sich wortreich über diese oder jene Pflanze.
»Sehen Sie sich diesen Phlox an. Der blüht in diesem Lande sechs Monate lang. Dem ist die Sonne nie zuviel. Ich glaube, diese Gelben haben fast die Farbe von Schlüsselblumen. Ich habe seit fünfzehn Jahren keine Schlüsselblume mehr gesehen, auch keinen Goldlack. Sind diese Zinnien nicht schön? - wie gemalte Blumen mit diesen wunderbar matten Farben. Dies sind afrikanische Ringelblumen. Das sind einfache Blumen, beinah Unkraut, aber man muß sie einfach gern haben, sie sind so lebendig und kräftig. Die Inder haben eine außergewöhnliche Vorliebe für sie; überall, wo Inder gewesen sind, findet man Ringelblumen, sogar nach Jahren, wenn der Dschungel jede andere Spur von ihnen begraben hat. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie auf die Veranda kommen und sich die Orchideen ansehen würden. Ich muß Ihnen ein paar zeigen, die genau wie goldene Glocken aussehen - buchstäblich wie Gold. Und sie duften wie Honig, fast überwältigend. Das ist ungefähr das einzige Verdienst dieses tierischen Landes, es ist gut für Blumen. Hoffentlich haben Sie etwas für Gartenarbeit übrig? Es ist unser größter Trost in diesem Lande.«
»Oh, ich schwärme einfach für Gartenarbeit«, sagte das Mädchen.
Sie gingen auf die Veranda. Ko S’la hatte eilig seinen Ingyi und seinen besten rosaseidenen Gaungbaung angelegt und trat nun aus dem Haus mit einem Tablett, auf dem eine Karaffe mit Gin, Gläser und eine Schachtel Zigaretten standen. Er setzte es auf den Tisch, und nachdem er das Mädchen ängstlich beäugt hatte, le gte er die Hände flach zusammen und shikote.
»Ich nehme an, es hat keinen Zweck, Ihnen zu dieser frühen Tageszeit einen Drink anzubieten?« sagte Flory. »Meinen Dienern will es nicht in den Kopf, daß manche Leute ohne Gin vor dem Frühstück existieren können.«
Er zählte sich selbst zu den letzteren, indem er mit einem Wink den Drink, den Ko S’la ihm anbot, ablehnte. Das Mädchen hatte sich auf den Korbstuhl gesetzt, den Ko S’la für sie ans Ende der Veranda gerückt hatte. Die dunkelblättrigen Orchideen hingen hinter ihrem Kopf, und ihre goldenen Blütenbüschel verströmten warmen Honigduft. Flory stand an der Verandabrüstung, dem Mädchen das Gesicht halb zugekehrt, aber die Wange mit dem Muttermal versteckend.
»Was für eine einfach göttliche Aussicht Sie von hier aus haben«, sagte sie, den Abhang hinunterblickend.
»Ja, nicht wahr? Herrlich dieses gelbe Licht, bevor die Sonne höher steigt. Ich liebe diese dunkelgelbe Farbe des Platzes und diese goldenen Mohurbäume wie karminrote Kleckse. Und diese Berge am Horizont, fast schwarz. Mein Lager ist auf der anderen Seite der Berge«, setzte er hinzu.
Das Mädchen war weitsichtig und nahm ihre Brille ab, um in die Ferne zu sehen. Er bemerkte, daß ihre Augen von einem sehr reinen, hellen Blau waren, heller als Glockenblumen. Und er bemerkte die Glätte ihrer Haut unter den Augen, fast wie Blütenblätter. Es erinnerte ihn wieder an sein Alter und sein hageres Gesicht, so daß er sich noch ein wenig mehr von ihr abwandte. Aber er sagte, einem Impuls gehorchend:
»Was für ein Glück, daß Sie nach Kyauktada kommen! Sie können sich nicht vorstellen, was es für uns bedeutet, hier ein neues Gesicht zu sehen. Nach Monaten in unserer eigenen jämmerlichen Gesellschaft und hin und wieder ein Beamter auf seiner Rundreise und amerikanische Globetrotter, die mit ihren
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