orwell,_george_-_tage_in_burma
Als er mit dem Reiter auf gleicher Höhe war, blieb Flory auf der Straße stehen und rief guten Morgen. Er kannte den Jüngling nicht, aber in kleinen Stationen ist es üblich, Fremde willkommen zu heißen. Der andere sah, daß er gegrüßt wurde, lenkte das Pony lässig herum und brachte es an den Straßenrand. Er war ein etwa fünfundzwanzigjähriger junger Mann, hoch aufgeschossen, aber mit sehr gerader Haltung - augenscheinlich ein Kavallerieoffizier. Er hatte das bei englischen Soldaten häufige Kaninchengesicht mit hellblauen Augen und einem kleinen Dreieck von Vorderzähnen, das zwischen den Lippen zu sehen war; dabei hart, furchtlos und sogar in lässiger Art brutal - vielleicht ein Kaninchen, aber ein zähes und kriegerisches Kaninchen. Er saß auf seinem Pferd, als wäre er ein Teil davon, und er sah unangenehm jung und durchtrainiert aus. Sein frisches Gesicht hatte genau die Nuance von Sonnenbräune, die zu seinen hellen Augen paßte, und mit seinem weißen wildledernen Tropenhelm und seinen wie eine alte Meerschaumpfeife glänzenden Polostiefeln war er so elegant wie ein Bild. Flory fühlte sich von Anfang an unbehaglich.
»Guten Morgen«, sagte Flory. »Sind Sie gerade angekommen?«
»Gestern abend, mit dem Spätzug.« Er hatte eine mürrische, jungenhafte Stimme. »Ich bin mit einer Kompanie hergeschickt worden, um Beistand zu leis ten, falls Ihre Banditen hier Ärger machen. Mein Name ist Verrall - Militärpolizei«, setzte er hinzu, fragte aber nicht nach Florys Namen.
»O ja. Wir hörten, daß jemand geschickt werden soll. Wo sind Sie untergebracht?«
»Dak -Bungalow, fürs erste. Da wohnte so’n schwarzer Kerl drin, als ich gestern abend ankam - Steuerbeamter oder so was. Ich hab ihn rausgeschmissen. Das ist ein Dreckloch hier, was?« sagte er mit einer Rückwärtsbewegung des Kopfes, um das ganze Kyauktada einzubeziehen.
»Es ist wohl so wie all diese kleinen Stationen. Bleiben Sie lange?«
»Nur einen Monat oder so, Gott sei Dank. Bis der Regen losgeht. Was für einen verkommenen Maidan Sie hier haben, was? Schade, daß man das Zeug nicht mähen kann«, setzte er hinzu und ließ seine Speerspitze durc h das vertrocknete Gras sausen. »Ist doch absolut hoffnungslos für Polo und dergleichen.«
»Ich fürchte, aus Polo wird hier nichts«, sagte Flory. »Tennis ist das Höchste, was wir hier erreichen. Wir sind hier nur insgesamt zu acht, und die meisten von uns v erbringen dreiviertel ihrer Zeit im Dschungel.«
»Herrgott! Was für ein Loch!«
Danach schwiegen sie. Die großen, bärtigen Sikhs standen in einer Gruppe um die Köpfe ihrer Pferde herum und beäugten Flory ohne viel Wohlwollen. Es war völlig klar, daß die Unterhaltung Verrall langweilte und daß er entwischen wollte. Flory hatte sich nie in seinem Leben so völlig de trop gefühlt oder auch so alt und schäbig. Er bemerkte, daß Verralls Pony ein schöner Araber war, eine Stute mit stolzem Nacken und gewölbtem, helmb uschähnlichem Schweif; ein schönes, milchweißes Tier, das mehrere tausend Rupien wert sein mochte. Verrall hatte bereits seinen Zügel gestrafft, um sich abzuwenden; offenbar hatte er das Gefühl, er habe für einen Morgen genug geredet.
»Sie haben da ein wunderbares Pony«, sagte Flory. »Ja, es ist nicht schlecht, besser als diese burmanischen
Gäule. Ich bin rausgekommen, um ein bißchen Tent - Pegging zu üben. Es ist hoffnungslos, in diesem Dreck einen Poloball herumschlagen zu wollen. Heh, Hira Singh!« rief er und wendete sein Pony.
Der Sepoy, der das braune Pony hielt, reichte seinen Zügel einem Kameraden, lief etwa vierzig Meter weit und schlug einen schmalen Buchsbaumpflock in die Erde. Verrall kümmerte sich nicht weiter um Flory. Er hob seinen Speer und brac hte sich ins Gleichgewicht, als zielte er auf den Pflock, während die Inder ihre Pferde aus dem Weg zogen und kritisch zusahen. Mit einer kaum bemerkbaren Bewegung drückte Verrall dem Pony seine Knie in die Flanken. Es sprang vorwärts wie eine von einem Katapult abgeschossene Kugel. Mühelos wie ein Zentaur lehnte der schlanke, aufrechte Jüngling sich im Sattel zur Seite, senkte den Speer und trieb ihn genau durch den Pflock. Einer der Inder brummte mürrisch › Shabash!‹, Verrall hob den Speer hinter sich in der üblichen Weise, brachte sein Pferd zum Kantern, kehrte um und reichte dem Sepoy den durchbohrten Pflock.
Verrall ritt noch zweimal nach dem Pflock und traf ihn jedesmal. Es geschah mit unvergleichlicher Anmut und
Weitere Kostenlose Bücher