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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Crakes Mutter auf der Isolierstation und verfiel zusehends. Crake durfte natürlich nicht zu ihr –
    niemand durfte sie besuchen; auf der Station verrichteten Roboterarme jeden Handgriff, wie beim Umgang mit radioaktivem Material –, aber er konnte sie durch das Beobachtungsfenster sehen.
    »Es war beeindruckend«, sagte Crake zu Jimmy. »Es kam Schaum aus ihr heraus.«
    »Schaum?«
    »Hast du schon mal Salz auf eine Nacktschnecke gestreut?«
    »Nein.«

    »Na gut. Dann stell dir’s ungefähr so vor, wie wenn du dir die Zähne putzt.«
    Eigentlich hätte seine Mutter über Mikrofon ihre letzten Worte mit ihm sprechen können, sagte Crake, aber es war irgendein digitaler Defekt im System, so dass er zwar sah, wie ihre Lippen sich bewegten, aber keinen Ton hörte. »Also genau wie im richtigen Leben«, sagte Crake und fügte hinzu, er habe ohnehin nicht viel versäumt, denn in dem Stadium habe sie schon nicht mehr zusammenhängend reden können.
    Jimmy verstand nicht, wie er so kalt sein konnte – dass Crake zusah, wie seine eigene Mutter sich auflöste, war ein grauenhafter Gedanke. Er selbst hätte das nie fertig gebracht. Aber wahrscheinlich war es nur Theater: Crake, der seine Würde bewahrte; denn die Alternative wäre gewesen, die Würde zu verlieren.

Happicuppa
    In den Ferien nach der Abschlussfeier war Jimmy in die HelthWyzer-Feriensiedlung Moosonee an der Westküste der Hudson Bay eingeladen, wo die höchsten Tiere von HelthWyzer Zuflucht vor der Hitze suchten.
    Onkel Pete hatte dort ein nettes Häuschen – »nettes Häuschen« war seine Formulierung. Eigentlich war es eine Kombination aus Mausoleum und Liebesnest – viel Steinmetzarbeit, Riesenbetten mit allerlei Zaubertricks, Bidets in jedem Badezimmer –, obwohl schwer vorstellbar war, dass Onkel Pete hier irgendetwas halbwegs Interessantes veranstaltete. Jimmy war sicher, dass er nur eingeladen worden war, damit Onkel Pete nicht mit Crake allein sein musste. Onkel Pete verbrachte den größten Teil des Tages auf dem Golfplatz und die restliche Zeit im Whirlpool, und Jimmy und Crake konnten machen, was sie wollten.
    Wahrscheinlich hätten sie, als Entspannung nach den Abschlussprüfungen, wieder auf interaktive und staatlich gesponserte Todes- und Porno-Sites zurückgegriffen, aber in diesem Sommer tobten die Kriege um genmodifizierten Kaffee, und die waren interessanter.
    Ursache des Konflikts war die neue Happicuppa-Bohne, entwickelt von einem Tochterunternehmen des HelthWyzer-Konzerns. Bis dahin waren die einzelnen Bohnen an den Kaffeesträuchern zu unterschiedlichen Zeiten gereift und hatten deshalb von Hand gepflückt und verarbeitet und in kleinen Mengen verladen werden müssen; der Happicuppa-Kaffeestrauch hingegen war so angelegt, dass sämtliche Bohnen gleichzeitig reiften und der Kaffee folglich auf riesigen Plantagen angebaut und maschinell geerntet werden konnte. Damit waren die kleinen Kaffeebauern aus dem Geschäft und zusammen mit ihren Pflückern zu bitterer Armut und Hunger verurteilt.
    Die Widerstandsbewegung war global. Krawalle brachen aus, Ernten wurden verbrannt, Happicuppa-Cafes geplündert, Happicuppa-Mitarbeiter gekidnappt, mit Autobomben in die Luft gesprengt, von Heckenschützen erschossen, vom randalierenden Pöbel totgeschlagen; und auf der Gegenseite wurden Kaffeebauern von der Armee massakriert. Beziehungsweise von mehreren Armeen, verschiedenen Armeen; denn es waren mehrere Länder an den Konflikten beteiligt.
    Allerdings sahen die Soldaten und toten Bauern, egal, woher sie stammten, mehr oder weniger gleich aus: staubig. Es war erstaunlich, wie viel Staub solche Ereignisse aufwirbelten.
    »Die Typen muss man ausschalten«, sagte Crake.
    »Welche? Die Bauern? Oder die Typen, die sie umbringen?«
    »Letztere. Nicht wegen der toten Bauern, tote Bauern hat es immer gegeben. Sondern weil sie die Regenwälder zerstören, um dieses Zeug anzupflanzen.«
    »Die Bauern würden das auch machen, wenn man sie ließe«, sagte Jimmy.
    »Sicher. Aber man lässt sie nicht.«
    »Ergreifst du Partei?«
    »Es gibt keine Parteien als solche.«
    Dazu war nicht viel zu sagen. Jimmy dachte kurz daran, pseudo zu rufen, fand aber, dass es eigentlich nicht passte. Außerdem war das Wort verschlissen. »Wechseln wir den Sender«, sagte er.
    Aber anscheinend wurde auf allen Sendern über Happicuppa berichtet.
    Es gab Proteste und Demonstrationen, bei denen Tränengas und Knüppel eingesetzt wurden; dann weitere Proteste, weitere Demonstrationen,

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