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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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frei hinter diesen Türen lebte; an verlorene Post, einem vergrabenen Schatz ähnlich, der darauf wartete, in dunklen, mit verborgenen Sprengladungen geschützten Gräbern gehoben zu werden; und an die Post, die nicht da, aber erhofft war, die unwirklichen Briefe, die nie geschrieben oder zugestellt und dennoch jeden Tag erhofft, dennoch entgegen aller Hoffnung erwartet wurden: Wir haben einen Fehler gemacht, Ihre Tochter lebt. Bitte nehmen Sie unsere Entschuldigung an, Ihr Sohn ist wohlbehalten aufgefunden worden und auf dem Weg nach Hause. Angesichts seiner Überspanntheit schüttelte Joe den Kopf, und da er das Postfach gefunden hatte, brauchte er nur noch darauf zu warten, dass der Mann kam und seine Post holte, denn was ein Verleger jeden Tag tun musste, auch wenn er sonst nichts tat, war, nach seiner Post zu sehen. Er war versucht, das Schloss aufzubrechen und einen Blick hineinzuwerfen, entschied sich aber dagegen. Dazu war später noch Zeit, jetzt aber brauchte er nur zu beobachten und zu warten: was fünfundneunzig Prozent seines Detektivseins ausmachte.
    Bis mittags hatte er keine Spur von einem Mann gesehen, auf den die Beschreibung von Papadopoulos gepasst hätte. Um eins kaufte er sich ein halbes Baguette mit Schinken, Käse und einer dünnen Mayonnaise, das er mit zwei kleinen Tassen schwarzem Kaffee hinunterspülte. Um halb zwei musste er sich auf die Suche nach einer Toilette machen, die er schließlich in einer örtlichen Brasserie fand, wo man ihm widerwillig deren Benutzung gestattete. Um zwei glaubte er, jemanden zu sehen, auf den die Beschreibung zutraf, und folgte ihm eine Dreiviertelstunde lang durch die Straßen, um Ecken und über Ampelkreuzungen, was ihm sehr vielversprechend erschien, bis der Mann schließlich eine Metzgerei in der Rue de Londres betrat, aus deren Schaufenster Schweineköpfe traurig herausstarrten: Er drehte das Schild an der Tür von Geschlossen auf Geöffnet , band sich eine weiße Schürze um und stellte sich hinter die Theke.
    Joe beschloss, Feierabend zu machen. Auf dem Rückweg ragte der Gare St.-Lazare als graues Bauwerk über ihm auf, und er schaute sich die dunklen Bahngleise an, die sich spinnwebartig vom Bahnhof ausbreiteten, sich wiederholt gegenseitig kreuzten, und die riesigen metallenen Lasttiere, die sich auf ihrer Flucht quer über die Erde auf ihnen entlangschleppten. Seine Schritte führten ihn auf die Rückseite des Bahnhofs, wo sich zu seiner Überraschung verwildertes Brachland zu erstrecken schien. Jenseits des Tores auf der Bahnhofsrückseite war der Boden mit Pfützen übersät, dazwischen verstreut lagen, einem Landschaftsstillleben gleich, herrenlose Gegenstände, zerbrochen und unerwünscht, wie Opfergaben an St. Lazare. Joe blieb stehen, als seine Schuhe vor Nässe quatschten, und beobachtete einen Mann, der von einer im Wasser liegenden Holzleiter absprang, während sein Spiegelbild sich in der glatten Wasseroberfläche verfing. Er sah Fahrradreifen und ausrangierte Rohre, eine feuchte Zeitung, einen Soldatenhelm, Wäscheklammern, eine kaputte Taschenlampe, eine umgedrehte Bierkiste, eine Brille ohne Gläser, einen Spielzeugaffen, dem die Augen fehlten, etwas, das aussah wie das Innere irgendeines elektronischen Geräts, mit lauter Drähten und Kupferteilen und kompliziert angeordneten Linien, eine Milchflasche, eine leere Zigarettenschachtel, den schwimmenden Abriss eines Zugtickets oder einer Kinoeintrittskarte, einen zerbrochenen Bleistift, weißes Toilettenpapier, das hier und da verstreut lag wie Mullbinden, die von einem auferstehenden Leichnam abgerissen worden waren. All das und, als seine Blicke über dieses Meer von Abfällen wanderten, diese Geografie verlassener menschlicher Leben, in einiger Entfernung links von ihm, gerade um eine Ecke verschwindend: blank geputzte schwarze Schuhe.
    »He!«, rief Joe. »Warten Sie!« Und er rannte hinter den Schuhen her, doch als er um die Ecke bog, war niemand da. Joe fluchte. Dann sagte er: »Schluss jetzt!«, drehte sich um und ging zur Metrostation St. Lazare. Über ihm zogen sich die Wolken zusammen, und als er die Stufen in die Unterwelt des Zugnetzes hinabstieg, setzte ein stetiger Nieselregen ein.

Jeder kommt von irgendwoher
    Er dachte an ein Postfach, das nicht geleert wurde, und an einen Mann in schwarzen Schuhen, und er fragte sich, wer wen beobachtete und warum, und dann dachte er an den Bahnhof, das graue Bauwerk, das wie ein Geisterschloss aus dem Pariser Boden aufragte, und an

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