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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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es einen privaten Speiseraum, eine Bibliothek, den Rauchsalon und einen Postraum, den Mitglieder benutzen können, die ihre Post über den Club laufen lassen möchten – und das ist in Wirklichkeit das, was Sie wissen wollten, stimmt’s?«
    »Ja.«
    Die Adresse, die Papadopoulos Joe in Paris gegeben hatte, war die des Castle Club im Londoner Bezirk Soho. Tantiemen für die Osama-Bücher gingen an Mike Longshott, c/o Castle Club. Daher musste Mike Longshott Clubmitglied sein. Und die Mitgliederzahl war, wie Mo betonte, begrenzt. Das war Joes erste zuverlässige Spur. Irgendwo im Castle würde es – musste es – Informationen geben, die ihn zu Longshott führten.
    Er nahm einen Schluck Bier und legte Mo ein paar Scheine hin. Der glatzköpfige Mann stopfte sie sich in seinen Regenmantel, schien es aber nicht eilig zu haben, aus dem Lokal wegzukommen. »Jeder sucht irgendwas«, sagte er plötzlich. »Nur werden manche von uns dafür bezahlt, es zu finden.«
    Joe war erstaunt. Mo lächelte und bestellte mit einer Handbewegung beim Barkeeper noch einen Drink. »Ich hoffe, Sie finden es, was immer es ist«, sagte er zu Joe. Joe nickte. »Und Sie?«, fragte er. »Irgendwas, wonach Sie suchen?«
    Mo zuckte die Schultern. »Ich mache hauptsächlich Scheidungen«, sagte er. Joe lächelte und wandte sich zum Gehen. Als er fast an der Tür war, fiel ihm eine kleine Messingplakette an der Wand ins Auge. »In einem Raum über diesem Pub wurde 1847 der zweite Kongress des Bundes der Kommunisten abgehalten. Im selben Raum schrieb Karl Marx Das Kapital .« Darunter stand, in kleineren Buchstaben, das Zitat: »Unser Zeitalter, das Zeitalter der Demokratie, bricht an.‹ Friedrich Engels.« Joe ging hinaus und zündete sich eine Zigarette an.

Stimmen bei einem Begräbnis
    Es fielen zwei Schüsse. Die Luft war ein trüber Dunst. Das Mädchen im Eingang gegenüber war verschwunden. Es gab keine Fußgänger. Das Sonnenlicht hatte eine düstere Beschaffenheit. Bis auf die Schüsse war es sehr still. Er hatte gerade mal zwei Züge von seiner Zigarette genommen – sie blieb zwischen seinen Fingern haften, ihr Rauch ringelte sich ganz langsam in den Himmel hinauf, den man in London allerdings gar nicht sehen konnte. Eine Motte flatterte vorbei. Ziegelmauern. Great Windmill, Fußgängerzone. Von der Shaftesbury Avenue drang der Verkehrslärm durch, aber gedämpft, wie Stimmen bei einem Begräbnis. Ein zerrissenes Stück Zeitungspapier flog zu seinen Füßen vorbei. Jemand hatte 7/7 weiter oben an die Mauer gesprüht, in der Richtung, aus der die drei Männer näher kamen. Er sah schwarze Schuhe, keine Gesichter. Hinter ihm ging die Tür auf, Mo trat auf die Straße, ohne sie zu bemerken, sagte: »Ich werd’s Ihnen gratis geben – wenn Sie nicht weiterkommen, versuchen Sie Ausschau zu halten nach Madam Se…«
    Schüsse, drei dieses Mal. Einer traf den Mann mit der Glatze in den Kopf. Joe fuhr wie in Zeitlupe herum, die Hände wie Lichtbänder hinterherziehend. Der Lärm der Schüsse war sehr laut in der Straße. Ein Glasfenster zersprang. Von drinnen waren Schreie zu hören. Vom Kern der Explosion ausgehend, fiel Glas in Scherben, die auf ihrem Flug durch die Luft das Licht einfingen. Es entstanden flüchtige Regenbögen. Mo, fallend wie ein Körper im Wasser. Die Zigarette klebte immer noch an Joes Fingern.
    Bilanz ziehen. Sich umdrehen. Mo immer noch fallend, fallend, der Boden noch weit weg, sein Körper Licht wie farbigen Rauch hinter sich herziehend. Drei Männer kamen, drei bewaffnete Männer, Joe gefangen im Dreieck zwischen dem Pink Pussycat, dem Windmill Theatre und Marx’ Pub. Die Straße rauf hing ein Schild mit der Aufschrift »Buchhandlung«. Mo schlug auf dem Boden auf, und Joe dachte: Komisch. Da war gar kein Blut. Die Zeit beschleunigte sich, und er taumelte, während die drei Männer sich immer noch näherten, zwei von ihnen um ihn herumgingen, der dritte stehen blieb, wo er war. Joe wich einem Schlag aus, trat um sich, hörte einen Mann vor Schmerz ächzen. Jemand fluchte. Ein Pistolengriff traf Joes Kopf, worauf er nach hinten fiel, auf ein Hindernis traf, fiel. Heftig schlug er auf dem Boden auf. Mos Gesicht wandte sich Joe zu, blasse, sich bewegende Lippen. Ein Flüstern. Joe bemühte sich mit aller Kraft, es zu hören.
    »Einer von uns …«
    Die Augen schlossen sich. Die Lippen kamen in einer Linie zur Ruhe. Ein Gesicht wie die Oberfläche eines Asteroiden, der in die Dunkelheit des Raums hinübergeht. Langsam

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