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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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zumindest waren die ihr so vertraut, dass sie keine Angst vor ihnen hatte«, sagte Rita. »Na ja, und wenn wir bei ihr gesessen haben, hat sie manchmal nach unserem Vater gefragt. Dann haben wir ihr gesagt, der sei gerade telefonieren gegangen und käme gleich wieder.«
    »Mit der Zeit wird man immer besser darin, den Kranken abzulenken und in die Irre zu führen«, sagte Annette. »Bei mir war das jedenfalls so.«
    »Das sind so Kleinigkeiten, die man lernt«, fügte Rita leise lachend hinzu.
    Wie eine Kleinigkeit kam mir das nicht vor.
    »Hatten Sie deshalb eigentlich je irgendwelche Schuldgefühle?«, fragte ich.
    »Weil wir gelogen haben?«, sagte Rita.
    Annette schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Wir haben das als notwendige Schauspielerei gesehen. Wenn jemand an Gedächtnisschwund leidet, muss man eben lernen, eine Rolle zu spielen und ihn abzulenken.« Sie lächelte. »Wir hätten es nämlich nie geschafft, unsere Mutter in die Realität zurückzuholen. Deshalb mussten wir uns in
ihre
begeben.«
    »In gewisser Hinsicht hat uns das sogar geholfen«, sagte Rita. »Dadurch konnten wir uns auf den jeweiligen Augenblick konzentrieren. Sonst wären die Gedanken immer hin und her geschweift, ohne sich an etwas festhalten zu können. So was ist ziemlich zermürbend.«
    Wenn man den beiden zuhörte, wurde klar, dass sie unbeabsichtigt zu Experten auf diesem Gebiet geworden waren.
    »Das hört sich ganz so an, als hätten Sie es wirklich geschafft, erfolgreich mit der Situation umzugehen«, sagte ich.
    »Leicht war das nicht«, sagte Annette. »Was bei unserem Vater funktioniert hatte, das hat bei unserer Mutter nämlich nicht funktioniert; deshalb mussten wir uns eine andere Strategie ausdenken. An manchen Tagen bin ich schon weinend aus dem Büro gekommen. Und manchmal bin ich richtig zusammengeklappt.«
    Rita nickte zustimmend. »Am Ende war es manchmal so, dass unsere Mutter nicht mehr wusste, wer wir waren.«
    »Und wie haben Sie da reagiert?«, fragte ich.
    »Indem wir uns mit allerhand Kleinigkeiten getröstet haben.«
    Das klang vertraut.
    »Unsere Mutter war ein großer Fan von Cajun-Musik«, warf Annette ein. »Bis zum Schluss hat sie mit dem Fuß den Takt geschlagen, wenn einer ihrer Lieblingssongs lief. Und als sie sonst nichts mehr gegessen hat, konnte man sie immerhin mit Eiscreme füttern. Man tut eben einfach irgendetwas, um einen solchen Menschen glücklich zu machen.«
    »Ans Pflegeheim muss man sich allerdings erst mal gewöhnen«, sagte Rita. »Das galt für uns genauso wie für unsere Eltern.«
    Das war ein guter Einstieg, um auf Oscar zu sprechen zu kommen. »Wie steht es mit den Katzen?«, fragte ich. »Hat deren Anwesenheit es leichter gemacht, das Heim als Heimat zu betrachten?«
    »Auf jeden Fall«, erwiderte Annette. »Für Rita und mich war es sehr tröstlich, dass Oscar und Maya da waren. Sie machen das Heim irgendwie viel wohnlicher. Außerdem sind sie eine gute Ablenkung, nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Besucher. Es ist einfach faszinierend, eine Katze zu beobachten. Zum Beispiel, wie sie sich einen warmen Lichtfleck auf dem Boden sucht und darin ausstreckt …«
    »Katzenyoga!«, sagte Rita. »Und wie sie aus dem Fenster starren, als würde gerade ein Umzug samt Blaskapelle vorbeikommen! Oder wie sie sich putzen, als wäre sonst nichts auf der Welt von Belang.«
    Gut getroffen, dachte ich. »Als Ihre Mutter starb, war Oscar da bei ihr?«, fragte ich.
    Rita strahlte. »Dr.Dosa, wenn ich nicht dabei gewesen wäre, ich hätte es nicht geglaubt!«
    »Was denn?«
    »Bevor meine Mutter starb, gab es mehrmals falschen Alarm. Jedes Mal, wenn es ihr wieder schlechter ging, kam Oscar ins Zimmer, als wollte er sie untersuchen. Er ist nie lange geblieben. Manchmal ist er nur hereinmarschiert, hat an ihren Füßen geschnuppert und ist dann wieder hinausgegangen.«
    Das mit den Füßen war mir neu.
    »Hat Sie das überrascht?«, fragte ich.
    »Nein, denn wir hatten von anderen Besuchern schon gehört, dass er sich so verhält«, sagte Annette.
    Rita atmete tief durch, bevor sie den letzten Tag ihrer Mutter schilderte. »Zuerst haben wir ein Kratzen gehört –
krr, krr, krr.
Ich weiß noch, wie wir uns erstaunt angeschaut haben, weil wir nicht feststellen konnten, woher es kam. Als wir aus der Tür geschaut haben, saßen da weder Oscar noch Maya. Dann kam es wieder:
krr, krr, krr.
So ging es etwa eine Stunde weiter, bevor es an der Tür klopfte.«
    »Eine der Helferinnen kam ins

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