Oscar
Gesundheitssystems. Manche suchen Unterstützung bei vertrauenswürdigen Organisationen wie der Alzheimer Gesellschaft, andere wenden sich an Freunde oder Verwandte, die bereits ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Im Regelfall kommen Informationen und Hilfe dabei von verschiedenen Quellen, aber nur selten von ärztlicher Seite.
Das liegt daran, dass unser Gesundheitssystem sich in erster Linie auf ein Modell von Diagnose und Behandlung konzentriert. Als Medizinstudenten und junge Ärzte lernen wir, die Anzeichen und Symptome von Erkrankungen zu identifizieren, das Ganze mit einem Etikett zu versehen und dann auf der Grundlage dieser Diagnose eine Behandlung vorzuschlagen. Was aber tut man, wenn man keine Medikamente verschreiben oder chirurgische Eingriffe vornehmen kann? Was tut man, wenn es keine Heilung gibt?
»Wie ich mir das Ende vorgestellt habe?«
Ich saß neben Joan Scheer in ihrer Küche. Sie strich sich nervös übers Haar, und ihre braunen Augen wurden feucht. Seit ich mit meinen Nachforschungen begonnen hatte, hatte ich viele Menschen weinen sehen und mir dabei immer vor Augen halten müssen, dass das eine Erleichterung für sie sein konnte. Doch es wirkte immer noch bedrückend auf mich.
»Ich glaube, ich habe gedacht, mein Mann würde immer so bleiben, wie er einmal war«, sagte sie schließlich. Ihre Tochter Robin, die bei uns saß, reichte ihr ein Taschentuch.
»Dass er Demenz hatte, war mir schon klar«, fuhr sie fort, »aber ich dachte, es würde sich trotzdem nicht viel ändern. Ich dachte, ich könnte ihn weiterhin jeden Morgen ins Tageszentrum bringen, wo er bis vier Uhr nachmittags versorgt wurde. Dann kam er nach Hause, und ich habe ihm beim Abendessen geholfen, bevor wir uns eine Weile vor den Fernseher setzten und schließlich zu Bett gingen. So sollte das weitergehen, bis er eines Tages an Altersschwäche starb. Das war wohl naiv, aber ich habe einfach nicht erwartet, dass es so enden würde.«
Wie es mit Lawrence Scheer geendet hatte, war typisch für die meisten Patienten auf der zweiten Etage unseres Heims. Nach einem langen Kampf mit Alzheimer-Demenz starb er in seinem Zimmer, pflichtschuldig begleitet von Oscar. Die letzten Jahre von Larrys Leben waren nicht erfreulich. Als er noch zu Hause lebte, begann er ziellos umherzugehen, vor allem nachts, bis er schließlich die Treppe hinunterstürzte. Im Krankenhaus, wohin man ihn daraufhin brachte, verschlechterte sein geistiger Zustand sich praktisch über Nacht. Er sagte nichts mehr oder phantasierte und zog sich dreimal seinen Gipsverband herunter, bevor man ihn zu seinem eigenen Schutz ans Bett schnallte. Dann wurde er von einem Pflegeheim ins andere verlegt, bevor er schließlich bei uns landete. Hier verlernte er weiterhin alles, was er einmal beherrscht hatte, bis er am Ende nicht mehr gehen und sprechen konnte. Nicht einmal seine Familie erkannte er mehr. Schließlich starb er an Lungenentzündung.
»Wissen Sie«, sagte Joan, »ich wünschte, die Ärzte hätten mir gesagt, was zu erwarten war.«
»Inwiefern?«, fragte ich.
»Man hat mir eigentlich überhaupt nichts über die Krankheit und das, was sie meinem Mann antun würde, erzählt.« Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, wie ich herausbekommen habe, wie lange ein Patient mit Alzheimer nach der Diagnose noch zu leben hat?«
Ich sah sie fragend an.
»Das hat mein Mann mir gesagt!« Trotz ihrer Tränen lachte sie auf, so absurd fand sie das offenbar. »Etwa ein oder zwei Jahre nachdem wir die Diagnose erfahren hatten, waren wir bei Freunden zum Essen eingeladen. Wie sich herausstellte, hatte sein Freund ebenfalls Demenz. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Buch über Alzheimer, und mein Mann begann darin zu lesen. Als ich ins Zimmer kam, sah ich ihn mit dem Buch auf dem Schoß dasitzen. Ich habe ihn gefragt, was er da tue, und da hat er mir ohne Umschweife gesagt, er hätte noch etwa sechs Jahre zu leben.«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Er hat das Buch in die Höhe gehalten, um mir die Stelle zu zeigen. Ich war entsetzt! Als ich zu ihm gegangen bin, um ihm das Buch wegzunehmen, hat er mich nur angeschaut und mir ganz nüchtern erklärt, zum Zeitpunkt der Diagnose hätte jemand in seinem Alter noch sieben bis neun Jahre Lebenszeit – und zwei Jahre davon hätte er inzwischen ja schon aufgebraucht.«
»Und die Ärzte hatten keinem von Ihnen beiden etwas über seine Lebenserwartung gesagt?«
Joan lehnte sich zurück. »Nein, aber dafür haben sie fleißig mit
Weitere Kostenlose Bücher