Osiris Ritual

nicht mehr bewegen. Bald sitzt er im Gefängnis, und dann wartet die
Schlinge des Henkers auf ihn.«
    Â»Und Alfonso?«
    Â»Tot.«
    Â»Was? Haben Sie …«
    Newbury schüttelte den Kopf. »Nein, das war Knox.«
    Veronica machte ein nachdenkliches Gesicht, während er ihre
Fußgelenke festhielt und mit einer raschen Bewegung den dünnen seidenen Strick
durchschnitt. Dann befreite er ihre Handgelenke.
    Â»Er hat anscheinend alles ausgeräumt. Es schien mir, als wollte er
seine Zelte hier abbrechen.« Auf einmal war Veronica
sehr müde.
    Newbury steckte das Federmesser wieder in die Tasche, richtete sich
auf und rieb sich die Hände sauber. Dann sah er sich in dem Raum um und hielt
erschrocken inne, als er die Frauenleichen in der Ecke bemerkte. »Was zum
Teufel …«
    Â»Teufel trifft es wohl. Knox ist gefährlich, eiskalt, berechnend und
mordlustig. Er schreckt vor nichts zurück, wenn er etwas haben will. So war er
schon immer.«
    Newbury nickte abwesend. Er hielt kurz inne, trat zu der vordersten
Leiche und bückte sich. »Was ist das? Löcher in der Stirn?« Er verzog
angewidert das Gesicht. Dann drehte er den Kopf der Toten langsam hin und her
und untersuchte die eigenartige Wunde.
    Â»Anscheinend hat er den Apparat dort drüben benutzt, um den Frauen
Löcher in die Schädel zu bohren. Ich glaube, er hat Sekrete oder Hormone
extrahiert.«
    Newbury richtete sich auf und betrachtete den Stuhl, auf den
Veronica deutete. Er ging darauf zu, berührte den mechanischen Arm und
schwenkte ihn herum, bis er den tödlichen Bohrer betrachten konnte. Mit den
Fingern fuhr er über die winzigen Kolben, die die Bewegungen des Arms
steuerten, und bewunderte anscheinend die handwerkliche Geschicklichkeit, die
in sie eingeflossen war. Dann verfolgte er mit den Fingerspitzen das Kabel, das
am Ende des Arms entsprang und in einem weiten Bogen hinter dem Apparat
verschwand. Gleich darauf tauchte er hinter dem Stuhl wieder auf. Er hatte eine
kleine gläserne Ampulle in der Hand, die mit einer trüben braunen Flüssigkeit
gefüllt war, und hielt sie Veronica hin.
    Â»Hm.« Ihm war nicht anzusehen, was er
dachte. »Aber was genau hat er extrahiert? Und, noch wichtiger, aus welchem
Grund?« Angewidert betrachtete er das Fläschchen. »Mal sehen, ob wir das
analysieren können.« Er überprüfte den Verschluss und
steckte sich die kleine Ampulle in die Jackentasche.
    Dann ging er zur Werkbank, wo noch verschiedene Artefakte herumlagen:
ein paar Zeichnungen, einige Blätter voller hingekritzelter Hieroglyphen, drei
zerbrochene Uschebti-Figuren. Newbury riss die Augen auf, als er die Objekte
erkannte. Er starrte den Tisch eine Weile an, ehe er die Überreste einer Statue
in die Hand nahm. »Das ist eines der Stücke, die ich in Lord Winthrops Haus
gesehen habe. Haben Sie das bemerkt? Er hat die Objekte zerbrochen. Knox hatte
es offenbar auf den Inhalt abgesehen.« Er warf die
zerstörte Figur auf den Tisch. »Das Osirisritual. Deshalb ist er jetzt hier in
London.« Er wandte sich an seine Assistentin. »Miss
Hobbes, die Mumie – die kreischende Mumie, die Winthrop in Theben entdeckt hat –, das war ein alter Priester, der bei lebendigem Leibe mumifiziert und vom
Pharao verflucht wurde, weil er versucht hatte, sein Leben in der physischen
Welt über Gebühr zu verlängern. Ich möchte wetten, die kleinen Statuen
enthielten Schilderungen seiner Entdeckungen, und die armen Mädchen hier
mussten ihr Leben lassen, um eine Zutat für das Ritual zu liefern. Genau wie
die Frauen im alten Ägypten. Knox hat Khemosiri kopiert!«
Wütend, weil es ihm nun dämmerte, drosch er die Faust auf den Tisch. »Und ich
habe unterdessen Ashford durch ganz London gehetzt. Ashford hätte mich
wahrscheinlich zu Knox geführt, wenn ich ihm die Gelegenheit dazu gegeben
hätte. Jetzt passt alles zusammen. Ashford hat mir heute das Leben gerettet. Er
mag abtrünnig sein, doch er ist kein Mörder. Er sinnt auf Rache und will Knox
erledigen.«
    Veronica seufzte. »Das hätte ich gleich erkennen sollen. Hätte ich
Ihnen nur viel früher geholfen … wäre ich nur zur Stelle gewesen. Es war die
ganze Zeit Knox, Sir Maurice. Er war schon immer davon besessen, sein Leben zu
verlängern. Das treibt ihn an, das ist sein wichtigstes Ziel, das macht ihn zum
Mörder.«
    Newbury schnitt