Osterfeuer (German Edition)
Trinken
ging Angermüller zu Bett, doch sein voller Magen hinderte ihn am Einschlafen. Nachdem
er es eine Weile versucht hatte, wanderte er in die Küche, nahm eine ordentliche
Portion Bullrichsalz, doch auch die darauf folgenden Eruptionen verschafften ihm
nur wenig Erleichterung und er wurde immer munterer. Als er es endlich geschafft
hatte, die ärgerlichen Gedanken an Jansen zu verdrängen, hielt ihn die Wut auf sich
selbst und seine Disziplinlosigkeit wach. Um sieben klingelte der Wecker. Ihm war,
als sei er gerade erst in einen erschöpften Schlaf gefallen. Astrid war schon aufgestanden,
er hörte aus dem Badezimmer die Dusche plätschern und roch den Kaffee, den sie immer
als erstes zubereitete. Ihm wurde schlecht.
Am liebsten wäre er gar nicht aufgestanden,
doch an einem Tag wie diesem, mitten in einem schwierigen Fall, gab es kein Schlappmachen
und er war ja an seinem Zustand selbst schuld.
Anderthalb Stunden später befand sich Angermüller mit Jansen und den
Kollegen im Fahrstuhl des Hochhauses auf dem Weg nach unten und sein Magen rebellierte
aufs heftigste gegen die Abwärtsbewegung des engen Gefährts. Für die Suche nach
Krischan Lage war ihnen eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei mit Suchhunden zur
Verfügung gestellt worden, die bereits aus Kiel unterwegs war. Steffen hatte eine
Nachtschicht eingelegt und teilte ihnen die Erkenntnisse seiner Obduktion mit. Zwar
konnte man von einem Kampf ausgehen: Jemand hatte Elsbeth Friedrichsen gewürgt und
ihr dabei die Kratzer am Hals beigebracht, doch letztendlich war es der Sturz von
der Treppe, der zum Tode geführt hatte durch Bruch des obersten Halswirbels. Den
Zeitpunkt des Todes legte der Gerichtsmediziner mit ›fünfundneunzigprozentiger‹
Wahrscheinlichkeit auf die Zeit zwischen siebzehn und neunzehn Uhr am gestrigen
Abend fest, was Jansen mit einem selbstzufriedenen Nicken quittierte. Angewidert
wich Angermüller seinem Blick aus, zeigte ihm diese Reaktion doch, dass Jansen immer
noch auf derselben Schiene in die Irre fuhr. Die Lagebesprechung im Beisein des
stets ungeduldig auf Ergebnisse wartenden Chefs, der sich höchstens vor Ort begab,
wenn es den Medien einen überführten Täter zu präsentieren galt, kostete ihn ohnehin
größte Selbstbeherrschung. Mehr als einmal drehte sich ihm fast der Magen um und
nicht nur aufgrund seiner Völlerei, sondern weil er die Ignoranz seines obersten
Behördenhüters manchmal schlicht zum Kotzen fand.
Wie immer fegte ein kräftiger Wind
um das Hochhaus, als sie aus der Tür traten, und Angermüller fröstelte unangenehm
trotz des dicken Lodenmantels. Er quetschte sich in Jansens Wagen, schob sich ein
Pfefferminz in den Mund, in der Hoffnung, damit seinen Magen anzuregen, dem Klumpen,
der sich darin befand, zu Leibe zu rücken und unterließ es ganz gegen seine Gewohnheit,
Jansen um eine gemäßigte Fahrweise zu bitten. Das hatte nichts mit ihrer Auseinandersetzung
vom Vorabend zu tun. Jansen benahm sich ohnehin wieder so, als sei nichts gewesen.
Angermüller fühlte sich einfach total schlapp und kraftlos und wollte im Moment
nur seine Ruhe haben.
Mehrmals kurbelte er die Seitenscheibe
ganz herunter und ließ sich den kalten Fahrtwind um die Nase wehen. Mit seinen Augen
versuchte er konzentriert den Horizont festzuhalten, der wie in einem rasant geschnittenen
Film an ihm vorbeiflog. Über den Himmel schoben sich heute dicke Wolken von einem
dunklen Blaugrau, was aber nicht heißen musste, dass sie ihre feuchte Ladung hier
auch abregnen ließen. Bisher war es wenigstens trocken geblieben. Jansen sagte nichts
und fragte nichts. Mit eingeschaltetem Blaulicht jagte er genussvoll BMWs und Mercedes
von der linken Spur und in rekordverdächtiger Zeit hatten sie die Ausfahrt Warstedt
erreicht.
Nach dem Klingeln an der Tür des reetgedeckten Hauses waren erst Schritte
und anschließend das bereits bekannte, wilde Gebell des Hundes zu vernehmen. Trude
Kampmann öffnete, von einem aufgeregten Lollo umtänzelt. Sie sah blass und müde
aus. Nach der Begrüßung erkundigte sie sich sofort, ob es neue Erkenntnisse darüber
gab, wie Elsbeth zu Tode gekommen war.
»Tja, gestorben ist sie an dem Sturz
von der Treppe. Aber ob sie aus Versehen da hinuntergefallen ist oder ob sie gestoßen
wurde, das kann uns nur der – oder die – sagen, der dabei war …«, antwortete Jansen
gedehnt und beobachtete Trude dabei scharf. Angermüller hätte ihn dafür schütteln
mögen, doch ihm fehlte momentan selbst für einen
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