Osterfeuer (German Edition)
werden wohl nicht in dem Bach
hier herumliegen.«
Triumphierend hieb Jansen auf Angermüllers
Rücken, der sich darauf konzentrierte, ruhig durch die Nase zu atmen und hoffte,
im weiteren Verlauf keinem allzu Ekel erregenden Anblick ausgesetzt zu werden.
»Ist er tot?«, fragte er knapp.
»Das werden wir gleich feststellen.«
Jansen klang regelrecht aufgeräumt,
zog sich ein Paar Latexhandschuhe über und stieg vorsichtig die steile Böschung
hinab in den Graben. Zum Glück kannte der Kollege in der Hinsicht keine Berührungsängste
und nahm Angermüller in solchen Fällen ganz selbstverständlich die Arbeit ab. Gesprochen
hatten sie über diese Arbeitsteilung noch nie. Jansen beugte sich über die Gestalt
und fuhr erst einmal wieder hoch.
»Mann oh Mann! Nach Veilchen duftet
der nicht gerade …«, stöhnte er, tastete mit seiner Hand am Hals des Liegenden nach
dem Puls und blickte dabei gespannt zu seinem Kollegen.
»Ruf sofort den Notarzt. Mehr tot
als lebendig, aber immerhin … es tut sich noch was.«
Immer noch schoben sich dunkle Wolkenberge über das Land, doch hie
und da fraßen sich kleine, helle Flecke durch das Grau und blendeten auf wie Bühnenscheinwerfer.
Es war früher Nachmittag und Trude saß an ihrem Lieblingsplatz in der Küche, den
Blick irgendwo zwischen den vor ihr liegenden Feldern und Wiesen verloren. Sie hatte
noch so viel zu erledigen, doch sie konnte sich einfach zu nichts aufraffen. Die
Trauer über den Verlust von Elsbeth hatte sich wie eine Lähmung über sie gelegt.
Es hatte sie nie gestört, allein im Haus zu sein, im Gegenteil, sie hatte, in der
Gewissheit, hier endlich eine Heimat gefunden zu haben, immer einen tiefen, inneren
Frieden verspürt und daraus die Energie zu all ihren Aktivitäten gezogen. Sie war
auch nie wirklich allein gewesen. Brauchte sie Rat oder Hilfe oder hatte sie keine
Lust allein zu Mittag zu essen oder wollte ein Schwätzchen halten, Elsbeth war immer
in der Nähe. Freundlich, unaufdringlich, hilfsbereit.
Irgendwie konnte und wollte Trude
nicht glauben, dass sie nicht mehr da war und rief sich die Bilder der vergangenen
Nacht ins Gedächtnis, wie um sich zu bestätigen, dass das Schreckliche wirklich
passiert war. Und dann versuchte sie sich die Zukunft ohne Elsbeth vorzustellen.
Sie fehlte ihr schon jetzt. Nach der Scheidung von ihrem vergötterten Vater vor
zehn Jahren, der inzwischen verstorben war, hatte Trudes Mutter auch den Kontakt
zu ihrer Tochter abgebrochen. Ohne dass sie dies je benannt hätten, nahm Elsbeth
ganz automatisch ihren Platz ein. Jetzt klaffte eine große Lücke in Trudes Leben.
Sorgen und Freuden hatte sie mit ihr geteilt. Wie oft war Elsbeth am Nachmittag
einfach auf einen Tee herübergekommen oder Trude hatte sie in der Mühle besucht
und mit ihr über Warstedts Vergangenheit, Geschichten aus Franz’ Jugend oder die
schleswig-holsteinische Küche geplaudert. Der Tod war eben endgültig. Nie wieder
würde sie die mütterliche Freundin um Rat fragen können, nie wieder von ihren Geschichten
und Erfahrungen profitieren, nie wieder ihre herzliche Zuneigung spüren können.
Trudes Augen füllten sich mit Tränen. Sie leistete dieser Regung keinen Widerstand,
legte den Kopf auf die Tischplatte und ließ ihrer Trauer freien Lauf. Während es
aus ihr herausströmte, fühlte sie ihre Lebensgeister zurückkehren und gleichzeitig
auch ihre Wut auf den Menschen, der Elsbeths Tod zu verantworten hatte. Was sie
dazu beitragen konnte, würde sie tun, um denjenigen zu finden und seiner gerechten
Strafe zuzuführen.
Das Geräusch der Gartenpforte ließ
sie den Kopf heben und sie sah Iris’ schlanke Gestalt auf die Terrassentür zukommen.
Trude hatte sich bereits erhoben, doch ganz wie es ihre Art war, klopfte Iris dennoch
dezent an die Glastür, bevor sie eintrat.
»Guten Tag, Trude. Ich wollte dir
mein Beileid aussprechen …«
In der ihr eigenen distanzierten
Höflichkeit hielt sie Trude die Hand hin. War es das Gefühl des Alleinseins oder
hatte die Trauer sie weich gemacht? Trude jedenfalls übersah die ausgestreckte Hand
und schlang gegen alle zuvor gefassten Vorsätze die Arme um die Freundin.
»Danke, Iris. Ich bin sehr traurig,
wie man vielleicht sieht … aber ich freue mich auch sehr, dass du gekommen bist«,
und mit einem schiefen Lächeln hielt sie Iris ihr verheultes Gesicht entgegen, was
diese ebenfalls mit dem Anflug eines Lächelns quittierte. Iris war also doch nicht
so ein herz- und gefühlloser Mensch, wie Trude
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