Osterfeuer (German Edition)
der Theorie zu feilen, Trude
Kampmann hätte auch die alte Frau beseitigen müssen, weil sie von ihr bei der ersten
Tat beobachtet worden sei.
»Mensch, du bist doch olber!«, blaffte
Angermüller den Kollegen im Dialekt seiner Heimat an, was dieser zwar nicht wortwörtlich
verstand, aber anhand der eindeutigen Geste des an den Kopf tippenden Fingers zumindest
sinngemäß erfasste. Daraufhin sagte Jansen nichts mehr. Obwohl er selbst oft mehr
als deutlich wurde in ihren Diskussionen und Auseinandersetzungen, legte er hin
und wieder eine mimosenhafte Empfindsamkeit an den Tag. Stumm hatten sie die letzte
Wegstrecke im Auto zurückgelegt und als Angermüller ausstieg und sagte:
»Alsdann: Um acht im Hochhaus. Ade
Claus«, war die Antwort nur ein unartikuliertes Brummen. Hochhaus – so nannten sie
das Verwaltungsgebäude in dessen siebten Stock die Mordkommission ihre Räumlichkeiten
hatte. Bis zum Morgen würde sich der Kollege wieder beruhigt haben, da war Angermüller
sicher. Vielleicht würde ihm bis dahin ja auch endlich klar, wie hanebüchen sein
Verdacht gegen Frau Kampmann war und wie sehr er mit seinem Beharren ihre Ermittlungen
blockierte. Und sie waren ohnehin noch nicht sehr weit gekommen, alle ihre recherchierten
Ergebnisse hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst. Umso mehr hoffte Angermüller,
sie würden diesen Krischan Lage auftreiben. Wenn er nicht sogar für eine oder beide
Taten verantwortlich zu machen war, dann hatte er vielleicht wenigstens etwas gesehen
und konnte ihnen wertvolle Hinweise geben. Dass der Tod der alten Frau in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Mord an Margot Sandner stand, schien auch Jansen nicht zu bezweifeln.
Wahrscheinlich hatte sie etwas beobachtet. Mit Sicherheit aber nicht das, was Jansen
unbedingt glauben wollte. In Angermüller stieg wieder der Unmut über die Scheuklappen
seines Kollegen hoch, die der in diesem Fall angelegt zu haben schien. Größer jedoch
als der Ärger über Jansen, war der über sich selbst, denn wieder einmal war er seiner
Fresslust erlegen und weder fühlte sich der volle Bauch gut an, noch ließ er ihn
ruhig schlafen.
Wie häufig, wenn er so spät in der
Nacht von einem Einsatz nach Hause kam, war er trotz der späten Stunde hellwach
und hatte einen Bärenhunger – zumindest empfand er es so. Wider alle guten Vorsätze
führte ihn sein erster Gang in die Küche, wo er die essbaren Vorräte im Kühlschrank
sondierte. Da Astrid eher intuitiv den Haushalt führte, dadurch ständig Überschüsse
an abgelaufenen Joghurts oder Milchtüten produzierte, Fehlendes dagegen nicht auffüllte
und einer Systematik in der Lagerhaltung ihrer Lebensmittel völlig abgeneigt war,
fühlte sich Georg berufen, den Überblick im Kühlschrank zu behalten. Und da betrachtete
er es als seine Pflicht, Reste oder Dinge, die zu verderben drohten, gehorsamst
zu vertilgen.
Heute gab es wahrhaft viel zu tun,
denn er hatte in der Nacht zuvor nur einen Bruchteil der köstlichen Überbleibsel
vom Ostersonntagsbrunch geschafft. Die Kinder rührten das meiste ohnehin nicht an
und Astrid war morgen wieder den ganzen Tag außer Haus, also fügte er sich in seine
Aufgabe und er tat es mit Eifer und Genuss. Sogar den Backofen setzte er in Gang,
um sich die verbliebenen beiden Krabbenschiffchen und ein Stück Baguette aufzubacken.
Schon während er mit den Vorbereitungen zu seinem nächtlichen Mahl beschäftigt war,
fiel alle Anspannung von ihm ab, er summte selbstvergessen eine Melodie und es gab
nur noch Duftendes, Salziges, Pikantes, Mildes, Cremiges, Knuspriges, das zu einer
Steigerung des Wohlgefühls beitrug.
Als das letzte Scheibchen Lachs
und der letzte Krümel Heringssalat verspeist waren, machte er sich über den Rest
Räucheraal her und zum Nachtisch gönnte er sich noch eine gute Portion Käse auf
gebuttertem Baguette. Danach allerdings gelüstete ihn nach Süßem und ein dickes
Nougatei in bester Confiseriequalität musste daran glauben. Langsam fühlte er sich
befriedigt, hatte mit all den genussreichen Kalorien eine weiche Barriere um sein
Inneres gelegt, sah die ungerechte Welt mit dem milden Blick des Satten und Zufriedenen
und konnte aufhören, Gaumen und Zunge stets neue Reize anzubieten. Der Rest Barolo,
den er sich zu seinem späten Mahl gegönnt hatte, schmeckte plötzlich sauer und er
holte sich eine Flasche Mineralwasser, die er vorsorglich mit ins Schlafzimmer nahm,
da er schon ahnte, dass es eine sehr durstige Nacht würde.
Schläfrig vom Essen und
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