Osterfeuer (German Edition)
Sonnenschirm liegen, ein Buch aufgeschlagen auf den
Knien, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Obwohl man in diese Richtung
den attraktiveren Blick in die Landschaft gehabt hätte, war ihre Sitzposition so
gewählt, dass der immer noch von den Leuten der Spurensicherung umgebene Mühlteich
hinter ihrem Rücken lag.
»Und du versuchst zu entspannen?
Das ist gut«, sprach Trude die Freundin an.
»Es will mir nicht so recht gelingen
… Ich kann mich auf meine Lektüre einfach nicht konzentrieren.«
»Das ist doch verständlich! Ich
glaube, wir sind alle etwas durcheinander. Was liest du denn da? Zeig mal!«
Trude warf einen Blick auf das Buch
und konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen.
»Na ja, eine Magisterarbeit über
Brinkmann ist auch nicht gerade die Urlaubslektüre erster Güte …«
»Ich finde das außerordentlich spannend.
Die Auflösung herkömmlicher Erzählstrukturen, die direkte Übertragung von Eindrücken
in Sprache, der Versuch die Komplexität aller Sinneswahrnehmungen nachfühlbar in
Worte zu verwandeln, quasi das Wort selbst als sinnlich wahrnehmbares Element …
das ist zurzeit mein großes Thema, weißt du und da gibt es für mich keine anregendere
Lektüre. Außerdem …«
Ein fast verschmitzt zu nennendes
Lächeln glitt über Iris’ Gesicht, »außerdem erlebt Brinkmann in den Feuilletons
gerade eine mächtige Renaissance und da dürfen wir als das neue, ambitionierte Literaturmagazin
unseres Senders doch nicht zurückstehen!«
Sie war schon ein kurioses Geschöpf,
diese Iris. Ein seltsames Gefühl der Rührung überfiel Trude und sie stellte fest,
wie wenig sie von der Frau, die sie immerhin als ihre Freundin bezeichnete, wusste.
Sie verkörperte perfekt das, was man früher als einen Blaustrumpf bezeichnet hätte,
wenn auch niemand sie angesichts ihrer eleganten Erscheinung heute so würde nennen
wollen. Doch sie hatte, zumindest bisher, genügsam und allein gelebt, in einer Art
nonnenhafter Askese für die hehre Literaturwissenschaft. Ganz aus freiem Willen
war dies wohl nicht immer geschehen, doch der Mangel an Ruhm oder Reichtum schien
sie selbst nie ernsthaft zu stören. Dass Iris mit zunehmendem Alter von Existenzängsten
bedrängt wurde, hätte Trude nie für möglich gehalten, so hermetisch hatte die Freundin
ihre Gefühle stets unter Verschluss gehalten. Nur dank äußerster Disziplin und eisernem
Willen musste es der so zerbrechlich wirkenden Iris möglich gewesen sein, ihr bisheriges
Leben zu meistern. Was für eine starke Frau!
»Du schaust so abwesend, Trude.
Was ist?«
Iris sah sie über ihre Sonnenbrille
hinweg fragend an.
»Ach, nichts. Ich freue mich nur
so für dich, dass du jetzt diesen Job beim Sender hast!«
»Warten wir es ab, lieber Leser
…«, reagierte Iris gewohnt zurückhaltend. Trude fragte:
»Wie geht es Betty?«
»Sie bekam plötzlich starke Kopfschmerzen
und hat sich ins Bett gelegt, als die Beamten gegangen waren.«
»Das war wohl alles zuviel für sie.
Margots Tod hat sie ja wirklich sehr getroffen …«
Trude, der Heuchelei absolut zuwider
war, hatte beschlossen, auch in diesem Fall sich selbst treu zu bleiben.
»Aber offen gesagt, glaube ich,
dass Betty die Einzige ist, die so empfindet, oder?«
Sie versuchte, in Iris’ Miene hinter
den dunklen Sonnengläsern zu lesen, doch Trude konnte nichts erkennen, was Rückschlüsse
auf ihre Gefühle und Gedanken erlaubt hätte. Eine spontane Antwort konnte sie natürlich
nicht erwarten. Iris wählte stets mit Bedacht und Sorgfalt ihre Worte, so wie sie
selbst eine Bestellung im Bäckerladen sprachlich korrekt und ausgefeilt aufgab,
womit sie nebenbei bemerkt, die Verkäuferinnen eher verwirrte, als sich die Kommunikation
mit dem gemeinen Volk zu erleichtern.
»Vermutlich ist deine Annahme richtig«,
war dann allerdings alles, was Iris zu diesem Thema beisteuern wollte. De
mortuis nihil nisi bene. Im Grunde war Trude das auch recht, denn sonst hätte sie sich womöglich
noch zu irgendwelchen Bekenntnissen ihrer persönlichen Abneigungen verstiegen und
das musste angesichts der grausamen Umstände dieses Todes nun wirklich nicht sein.
»Ich habe völlig meine Gastgeberpflichten
vernachlässigt und wollte fragen, ob ihr nicht was essen wollt. Wir haben ja durch
diese ganze Aufregung heute unser Frühstück verpasst. Ich dachte, ihr hättet vielleicht
Lust, bei uns im Garten Tee zu trinken und ein Stück Kuchen oder ein Sandwich zu
essen?«
»Das Leben geht weiter und wir
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