Osterfeuer (German Edition)
meisterte.
»Wenn Betty nicht so hysterisch
reagiert hätte, wäre überhaupt nichts passiert. Aber sie ist ja seit Margots unseligem
Ende völlig mit den Nerven runter und scheint tatsächlich der Meinung zu sein, ich
hätte sie umgebracht.«
Jetzt, da Trude wieder über das
unmögliche Verhalten der Freundin nachdachte, siegte die Empörung über das Mitgefühl
für die verunglückte Betty.
»Denkst du eigentlich auch, ich
wäre es gewesen?«
Iris sah sie aus ihren dunklen Augen
unbewegt an und antwortete kühl, als ob es um irgendein wissenschaftliches Problem
ginge:
»Was Margot dir getan hat, entzieht
sich meiner genauen Kenntnis, da Betty nur punktuell Andeutungen machte. So wie
ich Margot kennen gelernt habe, hättest auch du sicherlich einen guten Grund gehabt,
sie zu töten …«
»Ja, denkst du denn, ich war’s?«
»Nein«, sagte Iris schlicht und
Trude war ihr dafür richtig dankbar. Da sie wusste, dass es nicht die Art der Freundin
war, irgendwelche Spekulationen über den Täter anzustellen, wechselte sie das Thema
und brachte die Sprache auf Bettys Tochter. Iris kannte glücklicherweise den Namen
der Freunde, bei denen Annick die Ostertage verbrachte und auch die Straße, in der
sie in Berlin wohnten, sodass Trude die Telefonnummer leicht herausbekommen konnte.
An einem Mittagessen hatte Iris
kein Interesse. Zwei Äpfel, die sie als Reiseproviant eingepackt hatte, reichten
ihr vollkommen, meinte sie. Am späteren Nachmittag, so verabredeten sie, wollten
sie gemeinsam ins Krankenhaus, um nach Betty zu sehen. Trude verabschiedete sich
von der Freundin, die sofort wieder ihre Lesebrille aufsetzte und sich konzentriert
über die vor ihr ausgebreiteten Papiere beugte. Kaum war Trude aus ihrem Blickfeld
verschwunden, wich die kühle Selbstsicherheit von Iris wie die Luft aus einem kaputten
Luftballon und sie stützte den Kopf schwer in beide Hände auf die Tischplatte.
»Wie konnte das alles nur geschehen?«,
flüsterte sie tonlos. »Ich glaube, ich halte das nicht mehr lange aus …«
Als Trude die schwere alte Holztür zur Mühle öffnete, schlug ihr der
kräftige Geruch von gebratenem Speck mit Zwiebeln entgegen. Sie klopfte an die Tür
zu den Wohnräumen und als Elsbeth öffnete und sie erblickte, lächelte sie erfreut:
»Schön, dass du mich besuchen kommst,
min Deern! Ich habe ein Glas von meinem Sauerfleisch aufgemacht und mache mir gerade
ein paar Bratkartoffeln dazu – du weißt ja, in meinem Alter ist man an regelmäßige
Essenszeiten gewöhnt … Möchtest du vielleicht mit mir essen? Es ist reichlich da!«
»Warum nicht? Ich wollte dich gerade
fragen, ob du bei mir ein paar belegte Brote speisen möchtest. Aber dein köstliches
Sauerfleisch ist natürlich eine konkurrenzlose Alternative!«
Trude betrat die geräumige Wohnküche,
die nur auf ihrer Südseite durch ein Fenster und eine Glastür erhellt wurde und
dadurch vor allem bei solch regnerischem Wetter ein wenig dunkel wirkte, was ihrer
wohnlichen Behaglichkeit jedoch überhaupt nicht schadete. Als Elsbeth damals aus
dem Reetdachhaus auszog, um Trude als neuer Hausherrin Platz zu machen, hatte Franz
die Idee, in die leer stehende, über hundertfünfzig Jahre alte Mühle eine Wohnung
einzubauen. So hatte Elsbeth ihr eigenes Reich, blieb aber in unmittelbarer Nähe
auf dem Hof. Man hatte Fenster einsetzen lassen und im oberen Stockwerk einen Balkon
angefügt, denn der weite Blick übers Land bis zur Ostsee verlangte förmlich danach.
Im Parterre gab es neben der großen Wohnküche mit den Terrakottafliesen, den grob
verputzten Wänden und der Mischung aus moderner Küchentechnik und den honigfarben
gewachsten Rohholzmöbeln noch ein Gästezimmer, eine Dusche und eine Toilette. Über
eine Freitreppe gelangte man in das obere Stockwerk. War es im Erdegeschoß relativ
dunkel, so war der Wohnraum im ersten Stock, der sich über fast die gesamte Fläche
der Mühle erstreckte und Fenster nach Norden und Süden hatte, von hellem Licht durchflutet.
Geschickt hatte der Architekt das dunkle, mächtige Gebälk der Mühle in den Umbau
integriert und so einen Raum von ganz eigener, faszinierender Atmosphäre geschaffen.
Elsbeths alte Möbel und Teppiche und ihre prächtigen Grünpflanzen kamen hier wunderbar
zur Geltung und in der kalten Jahreszeit verbreitete ein großer Kamin gemütliche
Wärme, bei entsprechendem Wetter lockte der sonnige Balkon. Hier oben lagen außerdem
Elsbeths Schlafzimmer und das Bad.
Trude machte es sich an dem
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