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Ostfriesenblut

Ostfriesenblut

Titel: Ostfriesenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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verhungern lassen wie die anderen? Ich nehme an, dass Sie auch viel hungern mussten in Ihrer Kindheit. Bestimmt hat er Hunger als Mittel seiner Erziehung eingesetzt. So wie Schläge, Demütigungen, stundenlanges Stillstehen.«
    Ann Kathrin sah zu dem Buchregal, als würde sie in ein Gesicht schauen.
    Ich habe einen Weg gefunden, mit ihm zu reden, dachte sie. Er sucht diese Möglichkeit im Grunde die ganze Zeit. Und jetzt hat er mir zum ersten Mal geantwortet.
    Sie öffnete den Anhang, den er ihr geschickt hatte, und sogleich schoss ihr Blutdruck wieder bedenklich hoch. Zunächst erkannte sie die Frau auf dem Foto überhaupt nicht. Sie hatte einen kahlrasierten Kopf mit vielen Narben und riss die Augen angstvoll auf. Sie sah aus wie ein Mensch, der in den Abgrund der Hölle blickt. Die Gesichtszüge hatten alles Weibliche verloren. Sie hätten genauso gut einem gequälten Mann gehören können.
    Ann Kathrin begriff, was er ihr damit sagen wollte: Selbst die Geschlechtsidentität löste sich unter Angst und Folter auf.
    Wusste auch er nicht, ob er Mann oder Frau war? Ob er Männer liebte oder Frauen? Hatte er überhaupt je geliebt? War er zu so etwas noch fähig? Oder hatten sie es aus ihm herausgeprügelt?
    Die Kommissarin in ihr wusste, dass sie dieses Bild weiterleiten musste an ihre Dienststelle. Aber was dann? Es konnte unmöglich als Fahndungsfoto veröffentlicht werden. Die Kollegen würden sofort wieder in ihrer Wohnung erscheinen, sinnloserweise
versuchen, die E-Mail-Verbindung zurückzuverfolgen, und damit wäre der Kontakt zu Thomas Hagemann abgebrochen.
    Nein, sie musste dranbleiben. Solange sie Kontakt zu ihm hatte, bestand eine Chance.
    »Ich wiederhole mein Angebot«, sagte sie. »Ich komme, wohin immer Sie wollen. Ich werde unbewaffnet sein. Und wir können miteinander reden. Manchmal hilft es schon, wenn jemand zuhört.«
    Ann Kathrin ging in ihrem Arbeitszimmer auf und ab. Drei Schritte, Kehrtwendung, drei Schritte. Nach jedem zweiten Schritt einen Blick auf den Computer. Aber es kam keine neue E-Mail.
     
    Eine Schlechtwetterfront näherte sich von Westen. Noch hatte der Wind erst 120 Stundenkilometer, doch es gab eine Sturmflutwarnung für die Nacht. Ann Kathrin Klaasen sah vom Fenster ihres Arbeitszimmers aus die schwarzen Wolken über der Nordsee. Dann entdeckte sie noch etwas. Da lag etwas Dunkles im Garten. Es waren Dachpfannen.
    Wenn hier an der Küste nur eine Dachpfanne nicht ganz richtig saß, dann deckte der Wind schnell das ganze Dach ab. Sie erinnerte sich an Peter und Rita Grendel. Sie hatten sie zum Grillen eingeladen. Dazu hatte sie noch keine Zeit gefunden. Doch sie brauchte Peters Hilfe, und zwar rasch.
    Sie hatte seine Visitenkarte mit einem Pin an ihr schwarzes Brett geheftet.
Eine Kelle für alle Fälle.
    Sie rief ihn an. »Peter, bei mir liegen Dachpfannen im Garten.«
    »Das ist kein so gutes Zeichen«, lachte er. »Am besten, ich komme sofort. Wir müssen zumindest provisorisch was machen. Es soll ganz schön stürmisch werden heute Nacht.«
    Sie nickte. Er wartete auf eine Antwort. Dann wurde ihr bewusst, dass sie sich inzwischen daran gewöhnt hatte, mit jemandem
zu sprechen, der sie auch sah. Aber Peter Grendel sah sie natürlich nicht.
    Sie lächelte über sich selbst und sagte: »Danke, Peter. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
    Ann Kathrin ging ins Badezimmer und klatschte sich ein bisschen Wasser ins Gesicht. Peter musste nicht merken, was hier gerade los war. Sie konnte sich und das Haus nicht völlig vernachlässigen und sich nur noch um diesen Fall kümmern. Das war es, was Hero ihr immer vorgeworfen hatte: »Außer für deine Täter interessierst du dich für gar nichts.«
    Jetzt ging es ihm wahrscheinlich nicht viel anders als ihr. Auch er konnte an gar nichts anderes denken, denn es ging schließlich um seine Susanne.
     
    Thomas Hagemann fesselte und knebelte Susanne Möninghoff. Er verschnürte sie wie ein Paket und zurrte sie immer fester zusammen. Sogar dem leblos an den Stuhl gefesselten Heinrich Jansen klebte er den Mund wieder zu und auch die Augen.
    »Ich muss euch eine Weile alleine lassen«, sagte er. »Ich habe etwas zu tun. Ich hoffe, ihr habt keine Angst vor dem Gewitter. Ich glaube, es wird heute Nacht ziemlich rumsen.«
    Von irgendwo zog es. Draußen frischte es auf. Der Wind blies durch jede noch so kleine Ritze herein und löschte zwei der drei Kerzen auf dem Tisch. Thomas Hagemann ging zu dem Leuchter und hielt seine offene

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