Ostfriesenblut
Geschichte erzählen. Eine Geschichte voller Unrecht und ohne jede ausgleichende Gerechtigkeit. Eine Geschichte, in der die Polizei das Opfer zu den Tätern zurückgebracht hatte, statt ihm zu helfen. Eine Geschichte ohne Happy End.
Dann kam ein Mann auf den Distelkamp 13 zu.
Was will der hier, dachte Thomas Hagemann. Er taxierte den Mann genau. Er war groß und er war stark. Der würde nicht einfach weglaufen und er hatte vermutlich einen ganz schönen Bums in der Faust.
Er klingelte bei Ann Kathrin Klaasen: »Es wird Zeit, Ann Kathrin«, sagte er. »Der Wind pfeift schon ganz schön um die Dächer. Hoch kann ich nicht mehr.«
Was will der? Wer ist das?
Erst ging er ins Haus, dann kam er hinten zur Terrassentür wieder heraus und ging in den Garten.
Thomas Hagemann versteckte sich hinter der große Tanne. Dann schlug er sich in die Hecke und versuchte, aufs Nachbargrundstück zu kommen.
So ein Mist! Will die mich reinlegen? Ist das ein Bulle?
Peter Grendel sah sich die Dachpfannen im Garten an. Er hielt den Zeigefinger demonstrativ in die Luft und lachte: »Wenn wir jetzt nichts daran ändern, hast du morgen früh kein Dach mehr. Es ist zum Glück an der Dachrinne. Ich muss nicht ganz rauf aufs Dach. Komm, das kann ich noch riskieren. Halt mir die Leiter.«
Er holte die Leiter aus der Garage und vier Reservedachpfannen. Hier gab es von allen im Haus verwendeten Fliesen noch
eine Packung und natürlich auch genügend Dachpfannen für solche Fälle.
Schon war er oben bei dem Loch im Dach. Er besserte die Stelle aus, doch etwas gefiel ihm nicht. Als er wieder von der Leiter herunterkam und Ann Kathrin sich überschwänglich bei ihm bedankte, fragte er: »Darf ich mal auf deinen Dachboden?«
»Wieso? Stimmt da was nicht?«
»Ich will mir mal was anschauen.«
Peter Grendel ging die Holztreppe hoch, öffnete die Luke und zog die Leiter heraus. Dann stieg er hoch.
»Was ist?«, rief Ann Kathrin von unten.
»Komm mal hoch«, sagte er. »Das musst du dir angucken.«
Sie stieg zu ihm hoch. Hier oben konnten sie nicht ganz aufrecht stehen.
»Weißt du, wonach das aussieht?«, fragte er.
Sie wusste es augenblicklich.
»Habt ihr hier einen Untermieter?«, fragte Peter Grendel in seiner humorvollen Art. »Es sieht ganz so aus, als ob jemand durchs Dach ein- oder ausgestiegen wäre. Das ergibt doch keinen Sinn. Man kann einfach eine Scheibe einhauen und schon ist man in einem Haus drin. Man kann eine Tür aufhebeln. Das alles ist doch überhaupt kein Problem. Deine Schlösser hier sind doch eh nur ein Witz. Wieso klettert einer auf dein Dach, räumt ein paar Dachpfannen weg, schneidet sich dann durch die Abdichtungen und … «
»Keine Ahnung«, sagte Ann Kathrin. »Aber irgendwer hat’s getan.«
Peter Grendel schüttelte den Kopf. »Das ist doch auch eine Schweinearbeit. Danach muss er das Dach wieder ordnungsgemäß verschließen.«
Er sah sich die Stelle genau an und nickte anerkennend: »Das war ein Fachmann.«
»Anscheinend«, sagte Ann Kathrin, »hat er das beim letzten
Mal nicht ganz so gut gemacht. Und deswegen hat jetzt der Wind ein paar Pfannen hochgehoben.«
Peter Grendel berührte die herunterhängende Folie und stopfte ein bisschen von der Glaswolle zurück. »Ja, da hat er Pfusch gemacht. Das sieht ja wohl jeder. Aber vom Fach war er trotzdem. Nur ein bisschen eilig.«
Als hätte das Ganze seine Handwerkerehre beleidigt, schlug er jetzt vor: »Also, ich würde hier oben eine Mausefalle aufstellen. Am besten so eine große«, sagte er und deutete mit den Armen eine menschengroße Falle an.
Peter Grendel bückte sich und kontrollierte das Schloss der Einstiegsluke. »Ann Kathrin«, sagte er besorgt, »hier hat der Typ auch herumgefummelt. Die Schrauben wurden gelöst und … « Er zögerte einen Moment. »Der ist von hier oben möglicherweise zu dir runter gekommen. Oder er hat es wenigstens versucht.«
Ann Kathrin kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Sie tat Peter Grendel leid. Er bot ihr an, sie könnte heute Nacht gerne bei Rita und ihm auf der Couch übernachten.
Ann Kathrin bedankte sich noch einmal, lehnte aber ab. Er hakte zweimal nach, ob er irgendetwas für sie tun könnte, doch sie schüttelte den Kopf, gab ihm noch schöne Grüße für Rita mit auf den Weg und verabschiedete sich von ihm.
Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, rannte sie noch einmal nach oben und kletterte auf den Dachboden.
Sie reckte zunächst den Kopf durch die Luke und schnüffelte wie ein
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