Ostfriesenblut
ich Ihnen angetan habe. Aber ich finde, das geht nur Sie und mich etwas an. Bitte lassen Sie Frau Möninghoff gehen. Sie hat nichts damit zu tun. Ich bin bereit, Sie an jedem Ort der Welt zu treffen. Wo immer Sie wünschen, werde ich hinkommen. Ich werde unbewaffnet sein, und Sie können mich an ihrer Stelle nehmen. Sie können mich anrufen. Meine Telefonnummer kennen Sie ja. Oder … ich gehe hoch an meinen Computer. Ich werde ihn jetzt einschalten. Da Sie in all meine Systeme hineingehackt sind, nehme ich an, dass Sie auch meine E-Mail-Adresse haben.«
Sie lachte. »Sollten Sie sie vergessen haben: annkathrinklaasen @gmx.de.«
Dann stand sie auf und verließ mit aufrechtem Gang ihr Schlafzimmer.
Sie hatte ihr Handy bei sich und das normale Telefon. Damit ging sie nun die Holztreppen hoch in ihr Arbeitszimmer. Sie verspürte ein bisschen Wehmut, als sie an dem Raum vorbeiging, der inzwischen nur noch dem Mörder ihres Vaters gewidmet war. Als müsse sie sich bei ihrem Vater entschuldigen, sagte sie: »Dafür werde ich auch bald wieder Zeit haben, Daddy. Und glaub mir, ich krieg ihn, genauso wie ich diesen verrückten Hagemann kriegen werde.«
Dann setzte sie sich an ihren Computer und öffnete ihr E-Mail-Postfach.
Hier unten roch es nach Moder. Verwesung. Unrat. Fäkalien. Und jetzt mischte sich in all das auch noch der für Susanne Möninghoff ekelerregende Duft von Rosenkohl, der langsam heiß wurde.
Sie sah Thomas Hagemann nicht. Er war im Nebenraum. Seinen Laptop hatte er mitgenommen. Sie hörte eine weibliche Stimme aus dem Nebenraum, und sie war sich sicher, das war Ann Kathrin Klaasen. War sie hier? In diesem Gebäude?
Für Susanne Möninghoff verging eine Ewigkeit. In Wirklichkeit waren es nur wenige Minuten. Dann kam Thomas Hagemann zurück. Er tänzelte. Er sah fröhlich aus. Ausgelassen.
In einer Pfanne hatte er den Rosenkohl erhitzt. Er hielt seine Nase darüber und sog den Duft ein. »Mmmmhmm«, sagte er. »Das wird dir guttun.«
Dann stellte er die Pfanne vor sie hin auf den Boden. »Iss«, sagte er. »Beeil dich. Bevor alles kalt wird.«
»Ich … ich kann das nicht essen.«
»Ist es so schlimm?«
Sie nickte. »Ja. Meine Oma hat mich gezwungen, Rosenkohl zu essen, als ich vierzehn Tage bei ihr zu Besuch war, ganz ohne meine Eltern. Ich hab gebrochen, und dann musste ich trotzdem weiteressen. Meine Oma hatte überhaupt kein Verständnis. Es war … «
»Deine Oma war eine kluge Frau«, sagte er. »Sie wusste, dass es nur schlimm ist, wenn man nichts mehr zu essen bekommt.«
Susanne Möninghoff wusste nicht ein noch aus. Sie zeigte auf Heinrich Jansen. »Was ist mit ihm? Er stirbt. Du lässt ihn verhungern. Gib ihm was davon. Er mag es bestimmt. Und er braucht auch Wasser.«
Thomas Hagemann schüttelte den Kopf. »Nein. Er will keinen Rosenkohl. Er muss lernen, Maden zu essen.«
»Maden?«
»Ja. Bei uns waren oft Maden im Essen. Er sagte, dem Körper
ist es egal, woher das Eiweiß kommt. Was für die Maden gut ist, ist für euch auch gut genug. Aber ich glaube, er selber hat immer was anderes gegessen. Es ist wichtig, dass man durch den Ekel geht, verstehst du? Man muss sich überwinden. All diese Grenzen sind in Wirklichkeit gar nicht da.«
Er begann vor ihr herumzutanzen und Grimassen zu ziehen. »Oh, das mag ich nicht!«, quiekte er. »Nein! Das ist mir zu süß, das zu sauer, das zu salzig! – Alles nur Quatsch. Der Mensch braucht Nahrung. Sonst nichts. Es sind Kalorien. Vitamine. Spurenelemente.«
Er griff mit den Fingern in die Pfanne, nahm ein Kohlröschen heraus und drückte ihr das Ding gegen die Lippen. Sie presste die Lippen fest aufeinander.
»Es hat doch keinen Sinn«, sagte er. »Du musst sowieso alles aufessen. Mich hat er gezwungen, mein Erbrochenes zu essen. Und weißt du was? Das war gut für mich. Da hab ich gelernt, dass es gar nichts gibt, was nicht schmeckt. Alles schmeckt … besser als deine eigene Kotze.«
Sie spürte den Schwindel kommen wie eine Gnade. Gleich werde ich ohnmächtig, dachte sie. Endlich ohnmächtig.
Dann öffnete sie den Mund und spürte, wie er den Rosenkohl zwischen ihre Lippen schob.
»Schön kauen«, sagte er. »Und dann schlucken. Sei ein braves Mädchen. Dein Stolz, dein Ego werden sich auflösen. Deine Erziehung hat gerade erst begonnen.«
Er lächelte zufrieden und nahm die nächste Rosenkohlknospe in die Finger.
»Eins für Hero«, sagte er. »Eins für Eike. Eins für Ann Kathrin.«
Sie wunderte sich, dass sie alles
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