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Ostfriesenblut

Ostfriesenblut

Titel: Ostfriesenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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weinte Eike. »Aber ich hab mich einfach … geschämt. Weil, ich bin so ein Feigling … Ich hab das alles auf mich genommen, nur weil ich Angst hatte, dass … «
    »Dass dieser Typ dich verhaut?«
    »J … ja, aber nicht nur … ich wollte irgendwie auch dazugehören, weißt du. Das ist ziemlich toll mit denen. Die sind die Coolsten an der Schule und … «
    Hero nahm seinen Sohn in den Arm und drückte ihn an sich. »Alles wird gut, Eike. Alles wird gut.«
    »Mama hat gesagt, ihr müsst riesig viel zahlen. Ein paar Hunderttausend vielleicht sogar, weil Züge angehalten wurden und es ein paar Stunden Verspätungen gab und … «
    »Alles wird gut, Eike.«
     
    Die Sturmflut hatte jetzt fast ihren Höhepunkt erreicht. In Norddeich-Mole stand der Parkplatz unter Wasser und die ersten Wellen leckten an den Zuggleisen.
    In Nessmersiel rann die Flut durch alle Zäune, ohne Kurtaxe zu bezahlen.
     
    Ann Kathrin Klaasen fühlte sich, als hätte sie eine tote Katze gegessen. Ihr Kopf brummte schlimmer als nach dem schlimmsten Rausch ihres Lebens. Sie hatte einen schrecklichen pelzigen Geschmack auf der Zunge. Der Hals war trocken, ihre Füße waren taub. Sie wollte ihre Hände nach vorn ziehen, um ihr Gesicht zu schützen und sich die Haare aus der Stirn zu streichen, doch ihre Hände waren auf dem Rücken festgebunden.
    Als sie die Augen öffnete, sah sie in dem Raum, der nur von einer Kerze auf dem Tisch beleuchtet wurde, zunächst die Umrisse von Heinrich Jansen. Etwas in seiner Körperhaltung machte unmissverständlich klar, dass er tot war. Vielleicht gab es das, dass die Seele aus dem Körper ging und er dann erst leblos wurde.
    Ann Kathrin hatte schon viele schwerverletzte Menschen gesehen. Völlig weggetretene Menschen. Komapatienten. Doch in all ihnen war noch Leben. Einen Toten erkannte sie gleich. Dazu musste sie nicht den Puls fühlen.
    Darüber sprach sie nicht mit ihren Kollegen, und vor Gericht hätte so eine Aussage niemals Bestand gehabt. Vor Gericht galt nur, was man messen, wiegen, beweisen konnte.
    Falls ihre Phantasie ihr keinen Streich spielte, krabbelte etwas auf Heinrich Jansen herum. Eine Ratte, eine Maus – irgendetwas bewegte sich an seinem Gesicht.
    Langsam drehte Ann Kathrin ihren Kopf zur Seite. Neben ihr, an die Wand gelehnt, saß Susanne Möninghoff. Ihre Schultern berührten sich.
    Draußen pfiff der Wind. Der Regen platschte auf ein Wellblechdach, und irgendetwas klapperte. Vielleicht eine abgebrochene Dachrinne oder eine Metalltür, die ständig auf und zu schlug. Doch lauter als alles andere war der Wind.
    »Leben Sie noch?«, fragte Ann Kathrin, um überhaupt etwas zu sagen.
    »Ja«, antwortete Susanne Möninghoff. Ihre Stimme klang merkwürdig, so als würde sie den Mund nicht ganz aufbekommen.
    »Wo ist er?«
    »Keine Ahnung. Manchmal verschwindet er einfach. Und dann kommt er wieder und hat sich irgendeine Teufelei ausgedacht. Wissen Ihre Kollegen, dass Sie hier sind?«
    »Nein. Ich fürchte, wir sind auf uns gestellt.«
    »Wollten Sie sich wirklich gegen mich … «
    »Ja. Aber es ist anders, als er gesagt hat. Ich bin Kommissarin. Ich habe einen Weg gesucht, mit ihm in Kontakt zu treten.«
    »Na, herzlichen Glückwunsch. Das ist Ihnen gelungen.«
    Jetzt, da sie miteinander sprachen, versuchte Susanne Möninghoff ein Stückchen von Ann Kathrin abzurücken. Es war ihr unangenehm, so nah neben dieser Frau zu sitzen. Doch Ann Kathrin schüttelte den Kopf. »Nein. Kommen Sie näher.«
    »Wie?«
    »Wir müssen versuchen, uns gegenseitig zu befreien.«
    »Er wird verdammt wütend werden, wenn er kommt und sieht, dass wir irgendwas gemacht haben. Er kann es gar nicht leiden, wenn man versucht, sich selbständig zu … «
    »Wenn Sie nicht sterben wollen, dann helfen Sie mir jetzt.«
    Ann Kathrin schob sich mit den Beinen an der Wand höher und tastete mit ihren Fingern, bis sie eine Hand von Susanne
Möninghoff spürte. Sie versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass diese Hände ihren Mann streichelten und ihrem Sohn die Schulbrote schmierten. Es waren einfach nur Werkzeuge.
    Sie versuchten, sich gegenseitig das Teppichklebeband von den Gelenken zu knibbeln, aber sie waren zu fest eingeschnürt.
    »Versuchen Sie es mit den Zähnen«, schlug Ann Kathrin vor und ließ sich nach vorne fallen. Den Hintern hochgereckt, den Kopf auf den Boden, die Arme auf dem Rücken festgebunden, kniete sie da. Sie stöhnte, so schmerzhaft war es, und sie spürte, dass ihre Nackenmuskeln sich davon nicht so

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