Ostfriesenblut
brechen?
Im Garten wurde Weller beleuchtet wie ein Einbrecher. Dabei hatte gar nicht er die Bewegungsmelder aktiviert, sondern der Birnbaum, dessen Äste nach Weller zu greifen schienen.
Weller war unheimlich zumute, und in seinen kalten Lederschuhen froren seine Füße in durchnässten Socken. Dann sah er das Fahrrad. Der Wind hatte es hochgestellt und fast durch die Hecke gedrückt. Der Lenker hing zwischen den Zweigen fest, und das Vorderrad drehte sich in der Luft, als wolle das Rad führerlos in den Himmel fahren. Darunter zerplatzten Regentropfen und rahmten den Reifen ein wie ein Heiligenschein.
Nah am Haus arbeitete Weller sich wieder bis zur Garage vor. Er hat sie sich geholt, dachte er. Er war hier. Oder sie hat ihn hierhin gelockt. Vielleicht ist er noch im Haus …
Weller hob die Geranien aus der Halterung und schleuderte den schweren Blumenkübel gegen die Glasscheibe der Terrassentür. Sie brach sofort.
Schon stand Weller im Wohnzimmer, bereit Ann Kathrin zu retten. Hinter ihm hüpfte der Kater Willi ins Haus, froh, endlich Einlass gefunden zu haben, bei diesem Wetter.
Es schoss Weller glühend heiß durch den Körper: Nein, natürlich waren sie nicht mehr hier. Schließlich stand der Wagen nicht in der Garage. Hatte er jede Kombinationsgabe verloren?
Er kam sich tölpelhaft vor. Wie würde er dastehen, als Kommissar, der bei dem Wetter eine Scheibe eingeschlagen hatte, um seine Freundin zu retten, die vielleicht nur zu einer Nachbarin gefahren war, um ihr beim Sturm zur Seite zu stehen? Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er ab jetzt schon wieder unter Beobachtung von Thomas Hagemann stehen konnte. Schließlich gab es hier überall Webcams, und Ann Kathrin hatte sie nicht abgebaut.
Er durchsuchte das ganze Haus und hinterließ dabei eine feuchte, matschige Spur auf den Fliesen und dem Teppich. In seinen Schuhen quatschte es. Am liebsten hätte er geduscht und sich umgezogen. Er nieste bereits. Eine Erkältung kündigte sich an.
Im Schlafzimmer fand er den Koffer, dann die kaputte Webcam.
Er wählte Ann Kathrins Handynummer. Es klingelte im Wohnzimmer.
»Mist! Wo hast du sie hingebracht, du Saukerl?«, schrie Weller.
Er sah die Fußabdrücke auf der Holztreppe nach oben. Bei diesem Wetter hinterließ jeder Spuren. Hagemann war also in ihr Haus eingedrungen. Trotzdem war Weller sich nicht sicher, ob Ann Kathrin sein Opfer war oder ob Thomas Hagemann ihr auf den Leim gegangen war. Das war mal wieder typisch
für sie. Sie musste immer ganz nah ran. Sie wollte immer den Atem des Verbrechens auf der Haut spüren, dem Mörder in die Augen sehen.
Warum, dachte er, warum bist du so? Und warum immer diese Alleingänge?
Im Grunde war Ann Kathrin eine Teamspielerin. Sie konnte Menschen motivieren. Sie konnte delegieren. Sie behielt die Übersicht, ließ alles Unwesentliche außen vor. Konzentrierte sich ganz auf das, worum es wirklich ging. Aber dann, irgendwann, scherte sie plötzlich aus jedem Spiel aus, wie ein Stürmer, der plötzlich nur noch daran denkt, sein eigenes Tor zu schießen, egal, ob sich die anderen freigelaufen hatten und nur auf einen guten Pass warteten. Jetzt, in dieser Situation, sah sie nur noch sich, den Ball und das Tor. Irgendwann würde sie sich umdrehen und erkennen, dass sie Teil einer Mannschaft war.
Ann Kathrins Computer war noch an. Weller sah die Bilder von Susanne Möninghoff und musste sofort dringend zur Toilette. Während er seinen Urinstrahl in die Kloschüssel platschen ließ, wählte er die Nummer von Ubbo Heide. Trotz des Sturms funktionierte das Handy.
Als Ann Kathrin Klaasen den muffigen Raum betrat, bekam sie für einen Augenblick keine Luft mehr. Es war nicht so sehr der Geruch von menschlichen Exkrementen, von Angst, Schweiß und verdorbenen Speisen. Es war der Blick auf ihre Konkurrentin, der ihr den Atem raubte.
Thomas Hagemann drückte den Lauf der Waffe in Ann Kathrins Rücken und schob sie vorwärts. Dann sprach er fast wie ein Gastgeber, der zu einer Party geladen hatte: »Darf ich vorstellen, Frau Kommissarin, das ist Susanne Möninghoff, in die sich völlig unverständlicherweise Ihr Mann verliebt hat. Er ist von Ihnen in die weit geöffneten Schenkel dieser Hure geflohen.«
Susanne Möninghoff lag zusammengekrümmt in Embryonalhaltung eingeschnürt auf dem Boden. Ihre linke Gesichtshälfte war verdreckt, ihre rechte blutverklebt.
Thomas Hagemann trat nach Susanne Möninghoff. Dann sagte er: »Das ist die Frau, deren Mann du dir unter
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