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Ostfriesenblut

Ostfriesenblut

Titel: Ostfriesenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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doch jetzt nur so, weil Sie mich besoffen quatschen wollen.«
    Sie schüttelte den Kopf und berührte noch einmal ihre gefärbten Strähnchen, als könne sie daraus Kraft ziehen. Sie brauchte irgendetwas zum Festhalten, und wenn es nur eine Haarsträhne war.
    »Ich weiß eine Menge über Sie und eine Menge über Schwarze Pädagogik. Ich selbst hatte das Glück, bei einem wundervollen Vater groß zu werden. Für ihn war Schwarze Pädagogik ein Verbrechen an den Seelen der Kinder. Leute, die so etwas praktizierten, gehörten für ihn genauso ins Gefängnis wie jeder ganz normale Kriminelle.«
    Sie hatte nie mit ihrem Vater über Schwarze Pädagogik diskutiert. Vermutlich hatte er nicht mal gewusst, dass es so etwas überhaupt gab. Doch sie kannte ihn sehr genau, und es war nicht schwer, sich vorzustellen, wie er darüber gedacht hätte.
    »Er hat versucht, mich wachsen zu lassen. Er wollte nicht meinen Willen brechen, um mir einen andern aufzuzwingen, sondern er wollte, dass ich stark werde und einen kräftigen eigenen Willen entwickle. Er wollte, dass ich mich spüre. Und meine Mutter, die … «
    Plötzlich begann er, nervös mit der Pistole herumzufuchteln.
    »Was soll das?«, fragte sie. »Die Waffe ist entsichert. Seien Sie bitte vorsichtig. Es könnte sich einfach ein Schuss lösen und … «
    »Hören Sie auf, solche Scheiße zu erzählen! Sie behaupten, sie wüssten etwas über mich, und dann sprechen Sie nur über sich! Warum tun Sie das?«
    Jetzt half nur noch die ganze Wahrheit. »Ich tue es, weil ich
hoffe, dass ich dann ein Mensch für Sie werde. Dass Sie mich wirklich sehen und nicht nur einen Schatten Ihrer Peiniger. Ich hoffe, dass Sie dann zur Besinnung kommen, mir die Waffe geben und … «
    »Das tue ich nicht!«, brüllte er und schlug mit der Pistole in die Luft, als ob er dort den Kopf eines Gegners treffen könnte.
    »Sie interessieren sich gar nicht für mich!«, schrie er. »Ich weiß viel mehr über Sie als Sie über mich!«
    Als müsse er das beweisen, legte er auch gleich los. Seine Stimme war heiser, seine Augen wurden fiebrig. »Sie machen mit diesem Weller rum, um sich an Ihrem Mann zu rächen, weil dieser Idiot Sie verlassen hat für die blöde Schlampe, der ich unten gerade die Flötentöne beibringe! Sie schämen sich, weil Sie so eine schlechte Mutter waren, dass Ihr Sohn die erste Chance genutzt hat, um mit seinem Vater abzuhauen.«
    Sein Gesicht veränderte sich. Er wurde traurig. Ann Kathrin konnte den schnellen Wechsel seiner Gefühle mühelos in seinem Gesicht ablesen, wie bei Eike früher, als er klein war und seine Seele im Gesicht trug, wie Hero es gerne nannte.
    »Ich hätte Sie nie verlassen. Ich wäre bei Ihnen geblieben«, sagte Thomas Hagemann, und es hörte sich auf eine irre Art ehrlich an.
    Wenn er jetzt die Mama in mir sieht, dachte sie, ist das eine Riesenchance. Vielleicht lässt er sich dann von mir führen. Aber er muss auch einen großen Hass auf seine Mutter haben. Wenn der durchbricht, geht’s mir schlecht.
    Sie spürte, dass sie über sehr dünnes Eis ging.
     
    Als Weller im Distelkamp 13 ankam, bog der Wind die Kronen der Bäume in seine Richtung, als ob sie Weller untertänigst grüßen würden. Der Regen schien von vorne zu kommen statt von oben. Die dicken Tropfen trafen Weller wie Hagelkörner.
    Im Haus war Licht, aber Ann Kathrin öffnete nicht.
    Er sah in der Garage nach. Der grüne Twingo war nicht da.
    Wo sollte sie um diese Zeit bei dem Wetter hingefahren sein?
    Weller ging einmal ums Haus. Der ausgetrocknete Boden konnte die Wassermassen nicht wirklich schlucken. Die ganze Körnersiedlung war im Grunde auf Lehm gebaut. Das bisschen aufgeschüttete Muttererde mit Grassamen obendrauf konnte nicht darüber hinwegtäuschen.
    Auf Ann Kathrins Terrasse staute sich schon das Wasser, und es suppte zur Küchentür herein. Die Dachrinnen wurden mit dem Regenwasser nicht mehr fertig und liefen über.
    So, dachte Weller, könnte das Ende der Welt eingeläutet werden. Es hört einfach nicht mehr auf. Wenn das hier in zwei, drei Stunden vorbei war, würde der morgige Tag beginnen, als ob nichts geschehen wäre. Auch die schlimmste Sturmflut endete bei Ebbe, und die Deiche konnten ausgebessert werden, bis der nächste Ansturm der Wellen begann. Doch was, dachte Weller, wenn es einfach weitergehen würde? Wenn der Regen anhielt, ein paar Tage, vielleicht gar eine Woche? Und wenn die einsetzende Ebbe nicht ausreichen würde, um die Wut der Wassermassen zu

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