Ostfriesenblut
besser aus als wir, Herr Kühlberg, oder nicht?«
Dann sah Weller Ann Kathrin groß an. In seinem Blick lag die Warnung: Lass dich von dem bloß nicht einlullen.
Ralf Kühlberg ging in die Küche und trank ein Glas Leitungswasser. Er lockerte die schwarze Krawatte noch mehr und öffnete die ersten zwei Knöpfe von seinem Oberhemd. Der Kragen war schweißnass. »Bitte – Sie müssen mich verstehen. Ich wollte meiner Frau das ersparen … «
»Was wollten Sie ihr ersparen? Lassen Sie sich jetzt nicht die Würmer einzeln aus der Nase ziehen. Wir können auch anders«, drohte Weller.
Sie begleiteten Kühlberg wieder ins Wohnzimmer. Ann Kathrin ließ sich ihm gegenüber auf einem Barocksessel aus Nussbaum
mit feingedrechselten Beinen und Armlehnen nieder. Es gab im Raum einen dazu passenden Schreibtisch mit breiten Füßen wie Löwenklauen. Weller blieb stehen.
»Ich bin am Sonntag alleine hier rausgefahren, um meine Schwiegermutter zu besuchen. Als ich ankam, war sie in einem äußerst verwirrten und miserablen Zustand. Sie saß auf dem Stuhl da.« Er zeigte auf den Sessel, in dem Ann Kathrin saß.
Sie fuhr hoch. Jetzt fiel ihr auf, dass ein paar helle Stellen an den Armlehnen waren, so als habe dort jemand Klebeband abgerissen und dabei etwas von dem Lack entfernt. Sie bückte sich und betrachtete die vorderen Stuhlbeine. Hier das Gleiche.
»Ihre Schwiegermutter war also hier mit Klebeband gefesselt? Das sagen Sie uns jetzt erst?«
Kühlberg druckste herum und knackte mit den Fingern. »Ich habe geglaubt, dass meine Frau die Nerven verloren und ihre Mutter bei ihrem letzten Besuch auf diesem Stuhl fixiert hat. Das hat Regina früher auch mit meiner Frau so gemacht. Ulrike hat es mir oft erzählt. Als Kind wurde sie an den Stuhl gefesselt.«
»Und das macht Ihre Frau jetzt mit ihrer Mutter?« Ann Kathrin Klaasen konnte den Ton der Empörung in ihrer Stimme kaum unterdrücken.
»Sie wissen ja nicht, was hier los war. Unter welchem Terror wir standen, als meine Schwiegermutter noch gelebt hat. Sie war ein Aas! Sie war hysterisch und hat meiner Ulrike das Leben zur Hölle gemacht. Wir haben das als Paar nur knapp überlebt. Manchmal war ich kurz davor, mich scheiden zu lassen, nur um meine Schwiegermutter loszuwerden.«
»Wie darf ich mir das vorstellen?«, fragte Ann Kathrin und ärgerte sich, dass sie sich in den Sessel gesetzt hatte. Weller wusste schon, warum er in solchen Wohnungen stehen blieb.
»Sie hat uns ständig angerufen und ihre Tochter mit irgendwelchen Krankheiten und Unfällen, die sie angeblich hatte, erpresst.
Sie ist ein sehr manipulativer Mensch gewesen. Sie hat versucht, die Geschicke unserer Familie zu leiten. Mit ihrer emotionalen Erpressung hatte sie meine Frau immer mehr im Griff. Sie hat Ulrike nicht nur die Kindheit versaut, sondern später auch das Erwachsenenleben. Trotzdem hat meine Frau sie liebevoll gepflegt, ist täglich hier gewesen, hat ihr die Wohnung gemacht und … «
» … sie an den Stuhl gefesselt«, ergänzte Weller nicht ohne Häme.
Herr Kühlberg machte eine unwirsche Handbewegung. »Ach, Sie machen sich doch überhaupt keine Vorstellung. Wenn bei Ihnen im Polizeipräsidium jemand tobt, rumschreit und mit Sachen schmeißt – was machen Sie dann? Streicheln Sie den und geben ihm eine Tasse Kaffee aus? Was meine Frau gemacht hat, geschieht in jedem Krankenhaus und in jedem Altersheim, in jeder Psychiatrie! Sie hat ihre Mutter fixiert, um die Wohnung in Ruhe sauber machen zu können.«
»Und dann hat sie vergessen, sie wieder loszumachen und sie hier verhungern lassen, oder was?«, fragte Weller.
Ralf Kühlberg wog den Kopf hin und her und kaute auf der Unterlippe herum. »Nein. Sie verstehen das alles falsch. Sie missdeuten das. Meine Frau ist eine Angstpatientin. Sie ist psychisch schwer geschädigt. Das hat sie ihrer Mutter zu verdanken! Solange ich meine Frau kenne, geht sie einmal in der Woche in Therapie. Zu Dr.Blankenheim. Aber immer noch ist sie mit ihrer Mutter stärker verbunden als zum Beispiel mit mir. Wissen Sie, was das für einen Ehemann heißt, wenn es immer nur um die Mutter geht?« Er äffte seine Frau nach: »Wir können nicht nach Fuerteventura in Urlaub fliegen. Das ist meiner Mutter zu weit. – Ja, verdammt, ich hatte gar nicht vor, sie mitzunehmen!«
Ann Kathrin Klaasen hörte plötzlich nicht mehr zu. Etwas von dem, was Kühlberg gesagt hatte, traf sie. War es in ihrem
Leben auch so, dass ihr Vater wichtiger für sie war als ihr Mann? Ihr
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