Ostfriesenblut
Vater war längst tot, und Probleme, mit ihm in Urlaub zu fahren, gab es natürlich nicht mehr. Aber von allen Männern in ihrem Leben war er immer der wichtigste für sie gewesen. Sie spürte es jetzt wie einen Stich. Hatte Hero sie deshalb verlassen? Gab ihm Susanne Möninghoff die Aufmerksamkeit, die er von ihr nicht bekommen hatte?
Weller fragte: »Dr.Andreas Blankenheim?«
Ralf Kühlberg nickte. »Ja, warum?«
Statt zu antworten, ging Weller Kühlberg jetzt scharf an. »Und dann haben Sie sich also entschieden, Ihre Schwiegermutter hier verhungern zu lassen, und anschließend haben Sie sie ins Bett gelegt und … «
»Nein, so war es nicht!«
»Ach, wie denn?«
Ann Kathrin bemühte sich, wieder ins Gespräch zurückzufinden. Ralf Kühlberg schrie Weller jetzt an: »Meine Frau nimmt Medikamente! Das hat sie auch ihrer schrecklichen Mutter zu verdanken! Psychopharmaka! Als ich in die Wohnung kam, sah ich meine Schwiegermutter hier mit Klebeband an den Stuhl gefesselt. Es ging ihr wirklich nicht gut! Ich dachte, dass Ulrike nur vergessen hatte, die Furie loszumachen. Vielleicht hatte sie sogar Angst davor! Sie nahm ja fast jedes Mal etwas ein, bevor sie zu ihrer Mutter ging. Trotzdem lief sie immer wieder hin, wie ein geprügelter Hund zu seinem Herrchen. Ich habe sie sofort losgemacht, und als sie kollabierte, habe ich den Arzt gerufen. Aber vor dem Eintreffen von Doktor Wahl war sie bereits verstorben.«
»Sind diesem Doktor Wahl denn die Hämatome an den Handgelenken nicht aufgefallen?«
»Der behandelt meine Schwiegermutter seit Jahren. Der weiß doch, was hier los war.« Plötzlich begann Kühlberg zu weinen. »Ich wollte meiner Frau doch nur die Verhöre ersparen. Sie hat
doch schon Angst, nur in einen Fahrstuhl zu steigen. Ihre sozialen Phobien haben dafür gesorgt, dass sie aus jeder Arbeitsstelle herausgeflogen ist. Meine Frau steht solche Verhöre nicht durch, verstehen Sie?«
»Bis jetzt hat noch jeder unsere Verhöre überlebt«, konterte Weller hart.
»Wie waren die Vermögensverhältnisse von Frau Orthner?«, fragte Ann Kathrin Klaasen.
Herr Kühlberg atmete heftig aus. »Sie war finanziell unabhängig. Sie hat zwei Männer überlebt. Der erste Mann hat mit Antiquitäten gehandelt und ihr ein kleines Vermögen hinterlassen.«
Deshalb die Möbel, dachte Ann Kathrin. Der Sessel. Der barocke Schreibtisch.
»Der zweite war Beamter im höheren Dienst. Von dem kommen die Pensionsansprüche. Ja, Herrgott, sie hatte im Monat mehr zur Verfügung als ich!«
»Gibt es eine Lebensversicherung?«
»Ja.«
»Wo und in welcher Höhe? Wer sind die Begünstigten?«
»Sie kriegen es ja doch raus«, stöhnte Ralf Kühlberg. »Sie hatte eine kapitalbildende Lebensversicherung, die ihr mit 70 ausbezahlt wurde. Das Geld ist angelegt. Bei der Oldenburgischen Landesbank. Sie hat das Geld jährlich festgelegt und die Zinsen als Zubrot genommen.«
»Um welche Summe handelt es sich?«
»Achthunderttausend Euro.«
Weller pfiff durch die Lippen. »Grand Hand«, sagte er.
Ann Kathrin Klaasen mochte es nicht, wenn beim Verhör in Wellers Sprache durchschien, dass er ein leidenschaftlicher Skatspieler war. Sie hatte mal einen Kollegen gehabt, der war passionierter Golfspieler gewesen. Das fand sie schlimmer. Der lochte ständig etwas ein oder verbesserte sein Handicap.
Weller wartete darauf, dass Ann Kathrin jeden Moment Ralf Kühlberg über seine Rechte belehrte und ihn dann verhaftete. Aber das tat sie nicht. Er fragte sich, warum. Manchmal zögerte sie ihm einfach zu lange. Das hier war doch wohl eine klare Sache. Sie hatten ja im Grunde schon das Geständnis.
Wir könnten bald schon zu Hause sein und einen guten Espresso trinken, dachte er. Er überlegte, ob es als abgemacht galt, dass er wieder bei ihr schlafen würde. Das Haus war groß. Warum sollte sie alleine dort wohnen? Es bot sich ja geradezu an, bei ihr einzuziehen. Gleichzeitig wusste er, dass er dazu noch nicht in der Lage war. Jedes Mal, wenn er seine miefige kleine Wohnung betrat, ahnte er, dass er sich nie wieder so auf eine Frau einlassen würde wie damals auf Renate.
Als hätte Kühlberg ihre Gedanken erraten, flehte er: »Bitte, tun Sie mir das nicht an. Meine Frau überlebt das nicht.«
Ann Kathrin Klaasen hakte nach: »Was sollen wir Ihnen nicht antun?«
»Verhaften Sie mich nicht. Ich muss meiner Frau noch Sachen ins Krankenhaus bringen. Sie ist ja in ihren Beerdigungsklamotten zusammengebrochen, als sie den leeren Sarg sah. Glauben
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