Ostfriesenblut
unterm Arm und zog ihn ins Lokal.
Sie fühlte sich ausgetrocknet und hungrig. Sie nahm eine große Flasche Mineralwasser und einen kühlen Weißwein. Dann bestellte sie sich das Pfeffersteak, und Weller, der alte Heringfan, nahm die Matjes Hausfrauenart und ein frischgezapftes Pils dazu.
Vorweg aßen sie Bruscetta und stritten sich darüber, ob da kleingehackte Zwiebeln draufgehörten oder nicht. Weller war dafür, Ann Kathrin dagegen. Im Grunde war es ihnen aber egal, denn das frischgeröstete Brot schmeckte phantastisch.
Das Essen war wie eine Art Vorspiel zwischen ihnen. Während sie gierig das Wasser trank, nahm er nur einen kleinen Schluck Bier. Schaum blieb in seinen Barthaaren hängen, und sie mochte die Art, wie er seinen Schnäuzer mit der Zunge ausleckte.
Später dann, als ihre Hauptgerichte kamen, nippte sie nur noch an ihrem Weißwein, während er schon nach wenigen Gabeln Matjes seinen halben Liter Bier geleert hatte. Die letzten Züge nahm er mit einem tiefen Stöhnen. Vorsichtig stellte er das Glas auf den Tisch zurück und bestellte sich noch ein Bier.
Da Kripoleute in der Öffentlichkeit oftmals besonders genau beobachtet werden, wenn sie Bier trinken, sagte er laut, mehr für die Nachbartische als für Ann Kathrin bestimmt: »Du kannst ja zurück fahren.«
Ihr Steak war medium und in der Mitte rosig und noch ein bisschen blutig. Es war punktgenau gegrillt worden. Sie schnitt sich jedes Stück sehr bewusst ab, wischte damit durch die Pfeffersoße und legte jedes Mal ein ganzes Pfefferkorn wie zur
Krönung obendrauf. Im Mund ließ sie es zwischen den Zähnen zerkrachen.
Sie legte den Kopf in den Nacken und schüttelte ihre Haare nach hinten.
Das Leben kann so schön sein, dachte sie. Und er wird mir gleich wirklich die Haare färben.
Am liebsten hätte Weller nach dem Matjes noch einen Linie Aquavit getrunken. Er fand, der gehörte einfach zu einem guten Matjesessen dazu. Doch als er sich den Schnaps bestellen wollte, hob Ann Kathrin die Hand. »Lass nur. Wir können doch zu Hause noch einen Schnaps nehmen.«
Er wusste nicht, warum sie das tat. Schließlich würde sie sowieso nach Hause fahren. Überkam sie plötzlich eine Welle von Sparsamkeit?
»Nicht, dass du blau bist, wenn du mir die Haare machst«, kicherte sie. »Ich will mich nicht aus dem gleichen Grund von dir trennen wie Renate.«
Welch ein Weib, dachte Weller. Mit ihr kann ich arbeiten und leben. Was für eine Frau! Mit ihr komme ich so schnell in die Freude und in die Leichtigkeit zurück. Das muss sein, sonst hält man diesen Job nicht lange aus. Wenn man nach dieser Scheiße nach Hause kommt, dann kann man nicht noch einen Partner haben, der einen runterzieht und einem Vorwürfe macht und – ach.
Noch während er lachte, dachte er grimmig an Renate.
Als sie im Auto saßen und Ann Kathrin an der Post vorbei zum Distelkamp zurückfuhr, wusste er, dass ihn gleich kein Linie Aquavit erwarten würde, sondern ihre Doornkaatflasche.
Irgendwann werde ich mich entweder an das Zeug gewöhnen müssen, oder ich sage ihr, dass mir der Doornkaat eigentlich gar nicht schmeckt.
Auch darüber musste er plötzlich lachen, und wieder wurde alles ganz einfach zwischen ihnen.
Susanne Möninghoff hockte in der Ecke. Sie hatte die Beine ganz fest an den Körper gezogen und schützte ihren Kopf mit beiden Händen. Sie presste ihr Gesicht gegen ihre Knie, obwohl das schmerzte.
Auf ihrem Kopf waren keine Haare mehr. Nur noch Narben, Schnitte und ein paar Stoppeln. An vielen Stellen hatte er mehrere Hautschichten mit abgeschabt. Er war nicht gerade zimperlich mit ihr umgegangen.
Sie weinte, wie sie zuletzt als kleines Kind geweint hatte. Damals, als ihr Hund gestorben war und sie begriffen hatte, dass ihr Papa auch mit all seinem Geld ihren Tasso nicht ins Leben zurückkaufen konnte.
Ann Kathrin Klaasen saß in der Küche auf ihrem Lieblingsstuhl. Sie hatten den Tisch und die anderen Sitzmöbel beiseitegeschoben. Sie trug ein altes T-Shirt. Weller hatte ihr trotzdem noch ein Handtuch über die Schultern gelegt.
Bevor sie begannen, hatten sie gemeinsam einen Doornkaat getrunken. Jetzt standen die Gläser aus dem Eisfach auf dem Küchentisch neben der Superblondiercreme und dem Superlighter und tauten langsam auf.
»Magst du das Zeug wirklich?«, fragte Weller, »oder trinkst du es nur, weil dein Vater es immer getrunken hat?«
Auf diese Frage ging sie gar nicht ein. Wahrscheinlich, weil ihr die Antwort zu sentimental gewesen wäre.
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