Ostfriesenblut
von dem Haus, das wir gestürmt haben. Vermutlich hängt die Webcam im Baum gegenüber der Tür. Ich wette, er hat dort ein Vogelhäuschen deponiert, um die Kamera anzubringen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Guck mal hier. Ich glaube, das sind Blätter. Ganz nah. Die Kamera ist dahinter. Er kann seine Tür sehen und … «
»Das bedeutet … «
»Ja. Er hat unsere ganze Aktion aus der Ferne verfolgen können.«
»Aber er saß doch nicht oben an seinem Computer.«
Charlie staunte über so viel Naivität seines Kollegen. »Der kann sich das Ganze auf dem Handy angucken, wenn er möchte. Oder in jedem x-beliebigen Internet-Café. Ich glaube aber eher, dass er einen Laptop mit Funkverbindung im Auto hat.«
»Okay«, sagte Weller. Er fühlte sich leicht angeschlagen. »Aber wir haben eine Großfahndung nach seinem Auto draußen. Er wird mit dem Scheiß-Passat nicht weit kommen.«
»Ich wette«, sagte Charlie, »er weiß auch, dass wir nach seinem Fahrzeug suchen. Er ist doch nicht blöd. Er wird es nicht mehr benutzen.«
»Was denkt der sich denn?«, schrie Weller. »Glaubt er, er ist Gott oder was?«
Hinter ihnen erschien Ann Kathrin in der Tür. Sie sagte: »Ja. Vermutlich denkt er genau das. Er ist Gott. Aber nur so lange, bis wir ihm das Handwerk legen.«
»Wir fahren jetzt zu dir nach Hause«, schlug Weller vor, »und zerlegen die Bude Stück für Stück, bis wir die Kameras gefunden haben. Und dann … «
»Es gibt mehrere?«, fragte Ann Kathrin.
Charlie nickte. »Eine im Schlafzimmer, eine im Wohnzimmer, eine Webcam in der Küche und … «, er schluckte und sah vor sich auf seine Füße, »eine im Bad.«
»Können wir ihn über die Kameras und Abhöranlagen in meinem Haus finden? Kann man irgendwie die Position bestimmen, von wo aus er das Ganze abhört?«
Charlie lächelte. »Frag mal deinen Sohn. Jeder Zwölfjährige kriegt das so hin, dass wir die Wege im Netz nicht mehr verfolgen können.«
»Eike ist dreizehn.«
»Dann kann er es sowieso.«
»Aber ich denke, das wird alles im Netz gespeichert?«, protestierte Ann Kathrin. »Wer welche Webseiten besucht hat, welche E-Mails verschickt wurden und … Wir hatten doch einen langen Vortrag darüber, erinnerst du dich noch? Wie hieß der Typ, der die Fortbildung gemacht hat?«
»Jaja«, gähnte Charlie. »Damit kann man auch alle anständigen Bürger prima überwachen. Aber keinen, der vorhat, krumme Geschäfte zu machen, oder seine Anwesenheit im Netz anonymisieren will. Du kannst dir schon Software kostenlos runterladen, mit der das geht, zum Beispiel bei … «
Sie winkte ab. »So genau wollte ich es gar nicht wissen.«
Ann Kathrin verzichtete darauf, sich die Aufnahmen vorführen zu lassen. Zum ersten Mal im Leben hatte sie Lust, ihr eigenes Haus anzuzünden.
Sie versuchte sich zu zügeln und betrieb Schadensbegrenzung. »Wir müssen jetzt sehr genau abwägen, was wir tun. Was geschieht, wenn diese Bilder offiziell werden?«
Charlie dozierte: »Nun, es handelt sich um eine grobe Verletzung eurer Persönlichkeitsrechte. Hausfriedensbruch. Euer Intimbereich wurde aufs Gröbste missachtet. Ich denke, wir können verhindern, dass die Bilder an die Öffentlichkeit gelangen.«
Ann Kathrin erinnerte sich daran, wie Rupert auf die Onanie-Tagebücher reagiert hatte. »Was heißt hier schon Öffentlichkeit?«, fragte sie. »Schlimm ist ja nicht, was in Freiburg in der
Zeitung steht. Oder was die Leute auf der Schwäbischen Alb im Fernsehen sehen. Schlimm ist immer nur das, was die Menschen in deiner nahen Umgebung über dich erfahren. Die, denen du jeden Tag begegnest. Das hier würden doch alle Kollegen zu Gesicht kriegen.«
Charlie ereiferte sich: »Ich wette, binnen weniger Stunden kursieren davon zig Kopien. Und wenn wir nicht schwer auf Rupert aufpassen, gibt’s euer Gestöhne hier bald als Klingelton fürs Handy.«
»Warum tut er das?«, fragte Ann Kathrin. »Was will der von mir? Ich kenne den Typ nicht. Ich bin ihm nie in meinem Leben begegnet. Wieso legt der mir eine Leiche vor die Tür? Wieso baut der Webcams in meinem Haus ein? Will er, dass ich durchdrehe? Will er mich verrückt machen? Aber warum? Ich habe nie etwas mit Schwarzer Pädagogik zu tun gehabt.«
Plötzlich wurde Ann Kathrin sehr nachdenklich.
Weller drängte, endlich loszufahren, um »die Scheiß-Kameras aus dem Haus zu schmeißen. Ich kann ihm über eine seiner doofen Webcams ja sagen, was ich von ihm halte und was ich mit ihm mache, wenn wir ihn kriegen«, grummelte
Weitere Kostenlose Bücher