Ostfriesenblut
Ja, sie trank Doornkaat, um ihren Vater zu ehren und ihm nah zu sein. Und immer noch jagte sie einem Lebensziel nach: Sie wollte seinen Mörder vor Gericht stellen.
Immer wenn sie den kupfernen Doornkaatgeschmack im Mund hatte, wusste sie, dass sie es schaffen würde. Vorher sterbe ich nicht, dachte sie. Erst werde ich für Gerechtigkeit sorgen. Niemand bringt meinen Vater um und lebt dann ungestraft mit der Beute ein Leben in Saus und Braus.
Sie hatten sich dafür entschieden, die Haare nicht komplett zu färben, sondern nur Strähnchen hineinzumachen. »Nur« hörte sich nach weniger Arbeit an, in Wirklichkeit war es unvergleichlich viel mehr. Doch Weller freute sich darauf. So war er ihr nah, konnte sie berühren und mit ihr reden.
Sie waren jetzt schon eine gute halbe Stunde dabei, und bis jetzt hatte er erst ihre linke Kopfhälfte bearbeitet. Da brach der kleine Haken der Strähnchennadel ab.
»Was jetzt?«, fragte Weller und setzte sich erst einmal, weil ihm die Beine bei der Arbeit vom vielen Stehen ein bisschen schwer wurden. Er bog seine Finger durch. Er gestand es sich nicht gerne ein, doch er hatte schon fast einen Krampf in den Fingern.
»Dann lassen wir es lieber ganz«, sagte sie, doch plötzlich ging sie zu einer Kramschublade in der Küche. Darin lagen alte Batterien, ein Kartenspiel, bei dem sie Asse fehlten, Teeeier, die nie jemand benutzte, Kugelschreiber mit eingetrockneten Minen, ein paar Muttern ohne Schrauben, die Gebrauchsanleitung für ihr erstes Handy, ein Akku von ihrem ersten Handy und das Ladegerät und eine Häkelnadel.
»Damit geht es bestimmt besser«, sagte sie.
Weller fragte sich amüsiert, was sie mit einer Häkelnadel tat. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie Topflappen häkelte oder Strümpfe ausbesserte. Er fragte sie nicht, stellte nur für sich selbst amüsiert fest, dass er niemals erwartet hätte, in ihrem Haushalt so ein Gerät zu finden.
Damit war es nun ein Leichtes, die Strähnchen zu ziehen. Danach rührten sie nach dem vorgegebenen Mischungsverhältnis die Farbe an. In der Küche entstand sofort der typische Friseursalongeruch. Weller öffnete gleich zwei Fenster und sagte: »Das kann nicht gesund sein, das ist die pure Chemie. Das brennt in den Augen, in der Nase und … «
»Ja, ja, nur weiter, nur weiter. Komm, verdirb mir den Spaß!
Sag schon, was wird passieren? Krieg ich davon Krebs? Muss alles, was Spaß macht, irgendwie mies sein?«
»Nein«, sagte er, »nein, natürlich nicht.« Er hielt die Luft an und verteilte den weißen Schaum auf den Strähnchen, die er durch die Plastikhaube gezogen hatte.
Ann Kathrin schloss die Augen, denn das scharfe Zeug biss in die Schleimhäute.
»Wer schön sein will«, sagte sie, »muss eben leiden.«
Weller betonte natürlich sofort: »Du bist doch schön.«
Ann Kathrin fühlte sich vom Klingeln ihres Handys jetzt sehr genervt. Sie griff danach und klappte es auf. Sie tat es allerdings mehr, damit der Ton aufhörte, als um wirklich mit jemandem zu sprechen. Doch natürlich war beiden klar, dass sie in dieser angespannten dienstlichen Lage jederzeit erreichbar sein mussten.
Beide gingen davon aus, dass Thomas Hagemann gerade in die Falle gelaufen war. Doch stattdessen meldete sich Charlie Thiekötter. Er war aufgeregt und hatte eine belegte Stimme: »Ann Kathrin? Ich glaube, ich hab hier was, das solltest du dir ansehen.«
»Was denn?«
»Das kann ich dir am Telefon nicht sagen.«
»Wieso? Hört der Mörder uns ab?«
»Bitte, Ann Kathrin, mach es mir jetzt nicht schwerer, als es ist. Komm einfach.«
»Jetzt?«
»Ja, jetzt. Sofort.«
»Ich … ich habe mir gerade … « Sie schluckte es herunter, sie konnte Charlie jetzt irgendwie unmöglich sagen,
ich hab mir gerade die Haare gefärbt und muss warten, bis die Farbe eingezogen ist
.
»Ich … ich brauche noch ein paar Minuten«, sagte sie. »Eine Viertelstunde?«
»Ich warte hier einfach auf dich. Und wenn es die ganze Nacht dauert.«
Sie klappte ihr Handy zusammen.
Weller hatte mitgehört. »Was ist denn jetzt wieder so wichtig?«, fragte er sauer. Den weiteren Verlauf des Abends hatte er sich anders vorgestellt.
»Wenn sie ihn haben«, sagte er, »ja, okay, dann fahren wir hin und nehmen ihn auseinander. Obwohl, selbst das hätte Zeit bis morgen. Aber wieso sollen wir uns jetzt Spuren ansehen? Er hat irgendwas auf den Computern gefunden, keine Frage. Aber das läuft uns doch nicht weg … «
»Ich würde trotzdem gerne
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