Ostfriesengrab
ihr die Hand und stellte sich vor. »Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
»Ja, worum geht es denn?«
Ann Kathrin deutete der Schwester an, sie solle ihr ein bisschen weiter den Flur hinauf folgen, wo sie hoffte, ungestört mit ihr reden zu können.
Frau Bogdanski war gut einen Kopf kleiner und von zierlicher Gestalt. Sie hatte hellbraune Augen und pechschwarze Haare. Ann Kathrin schätzte sie auf fünfunddreißig, höchstens Anfang vierzig. Zweifellos war sie eine bildschöne Frau, mit strahlend weißen Zähnen und einem breiten Lächeln.
»Ich bin von der Kriminalpolizei«, flüsterte Ann Kathrin, »aber das muss hier niemand mitkriegen, wenn Sie es nicht wollen.«
Schwester Bogdanski beschleunigte ihre Schritte, um außer Hörweite zu geraten, denn an der Theke genehmigten sich jetzt zwei ihrer Kolleginnen einen Roibuschtee.
Gegenüber vom Fahrstuhl befand sich ein kleiner Andachtsraum mit einem Altar, einem Kreuz und Platz für ein Dutzend Personen. Da hinein führte Frau Bogdanski Ann Kathrin. Hier waren sie allein. Sie unterhielten sich im Stehen.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Frau Bogdanski. »Ich bin Hunderte Male verhört worden. Mein Mann ist tot. Nichts kann ihn mir mehr zurückbringen.«
Ann Kathrin wich einen Schritt zurück und sah die Frau kritisch an. Sie hatte mit einer anderen Reaktion gerechnet.
»Sie haben Ihren Mann geliebt?«
Schwester Bogdanski stöhnte und fächelte sich Luft zu. »Muss ich das wirklich alles noch einmal erzählen? Ich bin für Sie auch nicht mehr als eine gekaufte Frau, geben Sie es schon zu.«
Sie spuckte die Worte aus wie eine verdorbene Speise: »Ja, ich habe ihn geheiratet, um nach Deutschland zu kommen! Ja, ich wollte ein besseres Leben und raus aus dem ganzen Dreck! Wer will das nicht? Wenn ich ihn nicht bekommen hätte, hätte ich einen anderen genommen. Jajaja. Aber er war ein guter Mann.«
Ann Kathrin verschränkte die Arme vor der Brust und bemühte sich trotzig um festen Stand. »Na klar. Ein Supertyp. Wie viele Pferdchen hatte er denn laufen? Gehörten Sie auch dazu?«
»Ich weiß, viele Männer machen das. Wenn man uns zusammen auf der Straße gesehen hat, dann konnte ich in den Augen der Menschen erkennen, was sie dachten. Ah, wieder einer, der sich eine gekauft hat. Die ist bestimmt unheimlich gut im Bett und sie muss jetzt ihren Kaufpreis abarbeiten.« Sie schluckte schwer. »Hören Sie. Ich habe eine gute Ausbildung. Ich spreche drei Sprachen und … «
»Wussten Sie, was Ihr Mann beruflich macht?«
»Er hat ein Geschäft gegründet, und da konnte ich auch arbeiten.«
»Was war das denn für ein Geschäft?«
»Ein Esoladen.«
»Ein was?« Ann Kathrin hatte das Gefühl, hochgenommen zu werden.
»Ein Laden für esoterische Artikel«, erklärte sie. »Heilsteine, Räucherstäbchen, Tarotkarten, Bücher. Was Menschen auf ihrer spirituellen Suche eben so brauchen.«
»Und da stand Volker Bogdanski hinter der Theke?« Diwata Bogdanski schüttelte den Kopf. »Nein. Ich. Er hat mir das Geschäft überlassen. Damit hatte ich eine Lebensgrundlage.«
»Wie darf ich mir das vorstellen?«, fragte Ann Kathrin angesäuert. »Er betreibt einerseits einen Esoladen in der Wilhelmshavener Innenstadt und andererseits schickt er seine Mädchen in Hamburg auf dem Kiez anschaffen?«
Frau Bogdanski setzte sich. »Das mag Ihnen alles merkwürdig erscheinen. Aber Menschen sind nicht so eindimensional. Er war ein Familienmensch. Er brauchte die Gemütlichkeit. Er hatte es gern, wenn wir es uns zu Hause schön gemacht haben. Er konnte ewig diese Entspannungs-CDs hören. Er hatte nichts dagegen, dass ich meinen Sohn mitbringe. Er hat ihn nie spüren lassen, dass er nicht sein eigenes Kind war. Er hat ihm Schachspielen beigebracht. Stundenlang haben die beiden manchmal gespielt. Er hat ihn gewinnen lassen, um ihn zu motivieren. Wir haben dann noch zwei Töchter bekommen. Er hat sie gewickelt, sich um die Kindererziehung gekümmert und … «
»Wussten Sie denn gar nicht, womit er sein Geld verdiente?«
»Wir hatten den Laden.«
»Den Akten nach zu urteilen, hat er sich mehr in Hamburg herumgetrieben.«
»Ja, er war viel unterwegs. In jedem Monat war er nur an ein
paar Tagen zu Hause. Er hat nicht getrunken. Er hat mich nicht geschlagen. Ein einziges Mal ist er wirklich laut geworden und ausgeflippt. Einmal. Weil ich krank war und den Laden aufgemacht hatte. Ich hatte keine Aushilfe bekommen und … «
Ann Kathrin hob die Hände. »Danke.
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