OstfriesenKiller
musste es tun. Es war wie ein Zwang. Sie wollte das Haus sehen, in dem ihr Mann und ihr Sohn jetzt wohnten. Von der Kirche aus fuhr sie direkt dorthin.
Sie parkte ihr Auto an der Ecke, damit sie vom Haus aus nicht gesehen werden konnte. Am liebsten wäre sie so nah wie möglich herangefahren, um die Situation aus dem schützenden Auto heraus zu beobachten. Sie kam sich vor wie bei einer Überwachung. Sie versuchte, es professionell zu sehen. Wie viele Nächte hatte sie zu Beginn ihrer Karriere mit einer Thermoskanne im Auto vor der Tür eines Verdächtigen verbracht?
Aber wessen war Frau Möninghoff verdächtig? Ihren Mann zu lieben?
Ann Kathrin schwankte zwischen zwei Identitäten, als seien es getrennte, voneinander unabhängige Personen: Die Kommissarin, die einen Fall zu lösen hatte, und die Mutter, die nur sehen wollte, wie es ihrem Kind ging. Aber welche Mutter schlich sich schon heimlich heran?
Was sollte sie sagen, wenn sie zufällig gesehen wurde? Oder konnte sie sogar allen Mut zusammennehmen und klingeln?
Guten Tag, Frau Möninghoff, ich wollte nur mal nach meinem Sohn sehen.
Es sollte ja Frauen geben, die sich mit der neuen Geliebten ihres Ehemannes anfreundeten, sogar zusammen in Urlaub fuhren. Sie hatte diese zur Schau gestellte Lockerheit nie geglaubt. Vielleicht musste man ein alter 68er sein, um so leben zu können. Sie war voller Eifersucht, Missgunst und Hass. Ja, Hass.
Sie verließ den Wagen und ging zielstrebig an den roten Backsteinfassaden der Einfamilienhäuser vorbei. Die Sonne war erst vor wenigen Minuten hinterm Deich untergegangen.
Vor der Garage standen die Fahrräder von Eike und Hero. Ann Kathrin wurde von einem Bewegungsmelder registriert. Im Vorgarten ging die Beleuchtung an. Sie fühlte sich wie ertappt.
Im Haus von Susanne Möninghoff brannte schon Licht. Das große Wohnzimmerfenster war noch gekippt. Ann Kathrin konnte mühelos ins Haus hineinschauen. Lachen drang nach draußen, das helle klare Lachen ihres Sohnes Eike.
Es sah warm aus im Wohnzimmer, obwohl der offene Kamin nicht an war. Vielleicht lag es an den gelb getupften Wänden oder an den vielen kleinen naiven Malereien, die das Wohnzimmer in eine Art Ausstellungsraum verwandelten, in dem es viel zu sehen gab. Wahrscheinlich malte Susanne Möninghoff diese Bilder selber, dachte Ann Kathrin. Die Bilder gefielen ihr, und das machte sie noch wütender.
Susanne Möninghoff stand in der Mitte des Wohnzimmers und führte etwas vor, während Hero und Eike ihr begeistert zusahen. Hero saß so breit im Sessel und hatte die Beine so großspurig übereinandergelegt, dass Ann Kathrin Lust bekam, ihn zu ohrfeigen. Wie er sich da hinfläzte … Als sei das sein Haus, seine Familie, als gehöre er dort wirklich hin. Und er strahlte übers ganze Gesicht. Spürte er nicht, wie viel Leid er verursachte?
Susanne Möninghoff trug ein dunkelblaues kurzes Kleid und eine dicke weiße Wollstrumpfhose. Sie reckte die Arme zur Decke, als würde sie von oben etwas werfen oder auf die beiden Männer herabregnen lassen, und hüpfte dabei mit ihrem dicken Busen vor ihnen auf und ab.
Ann Kathrins Magen krampfte sich zusammen. Die Möninghoff wirkte in diesem Aufzug auf sie wie eine Mischung aus Schulmädchen und Prostituierter.
Was machte die da? Es lagen mehrere Geldscheine auf dem Boden. Zehn- und Zwanzig-Euro-Scheine. Die Möninghoff bückte sich und hob die Scheine auf. Es schien Ann Kathrin, als würde ihre Konkurrentin dabei absichtlich den Hintern mit dem kurzen Rock vor den Augen ihres Mannes in die Luft recken. Aber was sie noch schlimmer fand: Auch ihr Sohn hatte diesen funkelnden Glanz in den Augen. Wollte dieses Luder etwa nicht nur ihren Mann verführen, sondern auch noch ihren Sohn? Merkte Hero nicht, was da gespielt wurde?
Ann Kathrin erschrak über sich selbst. Was, dachte sie, interpretierte sie hinein in das Verhalten der Menschen?
Susanne Möninghoff hüpfte jetzt wieder herum und ließ die Scheine herunterregnen. Ein paar auf Hero und ein paar auf Eike.
»Makler! Börsenmakler! Du bist Börsenmakler!«, rief Hero.
»Nein!«, lachte Susanne Möninghoff. »Falsch! Ganz falsch!«
Jetzt durchschaute Ann Kathrin, was dort ablief. Es war ein Spiel. Früher hatte sie es des Öfteren mit Hero, Eike und seinen Freunden gespielt. An jedem Kindergeburtstag. Jemand musste etwas darstellen, durfte dabei aber nicht sprechen. Die anderen mussten raten, welcher Gegenstand oder welche Person dargestellt wurde. Wer es geraten hatte,
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