OstfriesenKiller
war gerührt. »Du dachtest, dass es mir weh tut, wenn ich mitkriege, dass du deine Lieblingsspiele hier abholst. Du wolltest mir den Schmerz ersparen, hm? Natürlich hast du gemerkt, dass ich zu Hause bin, du hast doch mein Auto gesehen.«
Draußen hupte Hero. Damit machte er nicht nur Eike klar, dass er sich beeilen sollte, sondern Ann Kathrin wusste genau, was der Herr Psychologe damit sagen wollte. Wer kurz vor zwölf nachts vor seinem eigenen Haus hupt, erzählt damit den Nachbarn auch, dass er auf ein gutes Verhältnis zu ihnen keinen weiteren Wert mehr legt.
»Ich muss los, Mama. Der hat keinen Bock mehr, länger zu warten. Und reinkommen will er auch nicht. Das kannst du hoffentlich verstehen.«
Schon lief Eike vor ihr die Treppe hinunter. Sie stand oben und sah ihm nach. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Bademantel halb geöffnet war. Sie hatte so, halb nackt, vor ihrem Sohn gestanden, mit einer Pistole in der Hand.
Draußen versuchte Hero, die Einfahrt zu verlassen. Das funktionierte aber nicht. Zwei Autos der Norder Polizei stellten sich quer. Die Beamten sprangen heraus, und nun blickte auch Hero in den Lauf einer Waffe.
Ann Kathrin wickelte ihren Bademantel fest um sich und ging nach draußen, um die peinliche Situation aufzuklären.
Samstag, 30.April, 6.30 Uhr
Ann Kathrin Klaasen hatte lange keinen Schlaf gefunden. Am Morgen war sie müde und zerschlagen wach geworden. Jetzt brauchte sie erst einmal einen Kaffee. Mit dem großen Becher in der Hand sah sie hinaus in den Garten und nippte an dem heißen Getränk. Sie mochte diese frühen Stunden, bevor die Hektik des Tages begann. Durch die Glastür in der Küche sah sie drei Maulwurfshügel auf dem Rasen. Offenbar hatte sie einen neuen Mitbewohner.
Sie erinnerte sich an das Bilderbuch vom Maulwurf Grabowski. Sie hatte es immer geliebt. Im Garten allerdings mochte sie Maulwürfe nicht so sehr.
Sie öffnete die Küchentür und trat, noch barfuß, mit der Kaffeetasse in der Hand, auf den feuchten Rasen. Auf dem größten Maulwurfshügel leuchtete eine blaue Feder. Ganz so, als habe Grabowski auf seiner Burg eine Fahne gehisst, um zu zeigen, dass er jetzt hier wohnte.
Manchmal wehte der Wind Möwenfedern in ihren Garten, die sich in der Hecke verfingen oder in den Bäumen. So eine Feder hatte sie hier noch nie gesehen. Sie sah nicht echt aus. Gefärbt, wie der Federschmuck ihres Sohnes, wenn er sich als Indianer verkleidete.
Staatsanwalt Scherer musste nichts sagen. Ann Kathrin wusste auch so, dass er ihre Anträge ablehnen würde. Sie trauerte dem alten Staatsanwalt hinterher. Von ihm hatte sie sich unterstützt gefühlt. Der Neue hier war ein Heißsporn. Er wollte Karriere machen und hasste Fehler, die ihm dabei schaden konnten.
»Nein, nein und nochmals nein!«, brüllte er. »Was denken Sie sich bei dem Blödsinn? Einer der angesehensten Männer Ostfrieslands wird erschossen, und Sie wollen bei seinem Verein eine Hausdurchsuchung machen, um Akten und Konten zu beschlagnahmen? Was das für Folgen haben wird!«
Ann Kathrin Klaasen sah ihren Chef an. Ubbo Heide fiel ihr nicht in den Rücken, aber er sagte auch nichts, schüttelte nur fast unmerklich den Kopf. Sie sollte begreifen, dass aus der Aktion nichts werden würde.
Die Ostfriesen galten als sehr behindertenfreundlich. Der Staatsanwalt betonte, dass die Hilfe für Behinderte in Ostfriesland ein Jobmotor sei. Es gäbe allein in Norden und Umgebung weit mehr als hundert qualifizierte Arbeitsplätze in diesem Bereich. Er selbst kaufe zum Beispiel seine Blumen grundsätzlich in der Gärtnerei Birkenhof, weil es dort geschützte Arbeitsplätze für psychisch Kranke gäbe. Durch ihre Aktion könne Ann Kathrin Klaasen dem guten Ruf Ostfrieslands schaden.
So leicht wollte sie ihn nicht herauslassen. Sie sah ihn unbeirrt weiterhin an: »Aber das kann doch nicht heißen, dass ich nicht weiter ermitteln darf?«
Stöhnend sagte Heide: »Ich kann das auch nicht unterstützen. Ja, Ann, willst du denn dem Mann jetzt auch noch die Ehre nehmen? Zur Beerdigung haben sich Vertreter aller Parteien angesagt. Das wird ein Riesen-Trauerakt. Der Bischof, die Landeskirchen, ach …«, er winkte ab.
Rupert ordnete die Papiere vor sich, als würde das etwas ändern.
Noch einmal versuchte sie, sich zu erklären: »Wir wissen nicht, um welche Größenordnung es genau geht. Ich glaube, dass die Mutter von Herrn Kohlhammer genau wusste, was sie tat, als sie Ulf Speicher das finanzielle Sorgerecht für ihren
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