OstfriesenKiller
Haut. Sie fühlte sich unbeobachtet und ließ das Saunatuch einfach fallen. Sie breitete die Arme aus und richtete den Blick zum Himmel. Der große und der kleine Wagen waren in funkelnder Pracht zu erkennen. Die beiden Sternbilder hatte ihr Vater ihr gezeigt. Mehr nicht. Wahrscheinlich kannte er die anderen nicht. Wie lange schon hatte sie sich vorgenommen, mehr über den Sternenhimmel zu erfahren. Jetzt, da sie hier wohnte und in den klaren Nächten so viel vom Himmelszelt sehen konnte, ganz anders als in der Großstadt, jetzt wollte sie auch etwas darüber wissen.
Wir können nicht mit dem Wissen sterben, das wir von unseren Eltern haben, dachte sie. Wir wollen mehr erfahren. Viel mehr. Oder zumindest einen Schritt weitergehen. Die Dinge etwas tiefer durchdringen als sie.
Hinter der Hecke hörte sie im Nachbarhaus einen Rollladen. Entweder wurde er sanft heruntergelassen oder heraufgezogen. So genau konnte sie diese beiden Geräusche nicht voneinander unterscheiden. Aber die Vorstellung, dass dort jemand hinterm Fenster stehen und vielleicht in den gleichen Sternenhimmel sehen könnte, wie sie es tat, reichte schon aus, dass sie ihr Handtuch aufhob und sich rasch damit verhüllte.
Mein Gott, dachte sie, was mache ich hier? Ich stehe mitten in der Nacht nackt im Garten …
Ann Kathrin Klaasen wurde von den gleichen Augen beobachtet, die Ulf Speicher nackt durch die Küche hatten laufen sehen.
Den Augen, die in das erschrockene Gesicht von Kai Uphoff geblickt hatten.
Den Augen, die mit Genugtuung festgestellt hatten, dass der Pfeil den Hals von Paul Winter präzise durchbohrt hatte.
Ann Kathrin legte sich wieder im Wohnzimmer schlafen. Nach dem Duschen und der Erfahrung draußen, wollte sie die nackte Haut atmen lassen.
Die flauschig-weiche Wolldecke war angenehm. Sie roch das Waschmittel. Es erinnerte sie an ihre Kindheit. Sie hatte immer wieder die Wäsche mit dem gleichen Mittel gewaschen wie ihre Mutter. Es gab andere, bessere, billigere, umweltfreundlichere Mittel. Aber sie liebte diesen Geruch.
Sie musste eingeschlafen sein. Ein Geräusch weckte sie. Sie schreckte auf.
Es war ein schepperndes Geräusch, leise, wie von jemandem, der keinen Lärm machen will und nun doch versehentlich Krach gemacht hat. Jemand befand sich auf der Treppe oben im Flur. Sie erkannte das Geräusch der obersten Stufe, die knarrte anders als alle anderen.
Sie hatte sich draußen schon so beobachtet gefühlt. Wer durch ein Wohnzimmerfenster schießt, um einen Mann zu töten, steigt vielleicht auch ins Haus der Kommissarin ein, um zu schauen, ob sie ihm schon auf der Spur ist.
War sie dem Täter zu nahe gekommen? Wollte er sie etwa ausknipsen wie Kai Uphoff? Wofür würde er sich entscheiden? Für das Schwert oder das Gewehr?
Sie ließ sich auf den Boden gleiten und robbte zum Badezimmer. Sie versuchte sich einzureden, dass es noch mehr Verbrecher in Ostfriesland gab. Vielleicht war das hier ein einfacher Einbrecher und nicht gleich der Doppelmörder.
Wichtiger als an eine Schusswaffe zu kommen, war es ihr, dem Einbrecher bekleidet zu begegnen. Der Schlafanzug musste neben der Dusche liegen. Die anderen Sachen waren im Wäschekorb.
An der Badezimmertür hing ihr gelber Bademantel. Der musste reichen.
Ihr Herz raste, aber ihr Verstand arbeitete vollkommen klar. Barfuß, im Bademantel und ohne ein Geräusch zu machen, bewegte sie sich zur Garderobe im Flur, bei der Haustür. Dort lag in der obersten Schublade ihre Dienstwaffe. Eine Heckler & Koch P 2000. Oben auf der Garderobe lag ihr Handy.
Früher hatte Hero einmal im Jahr alle Schubladen mit Seife wieder gleitfähig gemacht. Vielleicht erkennt man an solchen kleinen Nachlässigkeiten zuerst, dass sich jemand nicht mehr für Ehe und Haus interessiert. Seine Begeisterung hatte einfach nachgelassen. Die Schubladen funktionierten auch, wenn sie knarrten. Jetzt verfluchte Ann Kathrin Klaasen ihn dafür. Das Geräusch konnte sie verraten.
Es tat gut, den Griff der Waffe in der Hand zu halten. Sie lud die Pistole aber noch nicht durch. Dieses verräterische Geräusch hätte sicherlich jeden Einbrecher aufgestört und in Panik versetzt.
Sie hatte nie eine Kugel im Lauf. So konnte auch kein Unfall passieren. Sie fand es nicht richtig, dass eine Waffe ständig durchgeladen war. Das sollte erst geschehen, bevor sie bewusst abgefeuert wurde. Jetzt fühlte sie sich dadurch unglaublich gehandicapt.
Sie klappte ihr Handy auf und verdeckte das leuchtende Display mit dem
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