Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
aus und ging auf und ab. Ein paar Glasscherben knirschten unter seinen Füßen. Aus dem Container für grünes Glas ragte der Hals einer Proseccoflasche. Davor stand noch eine ganze Kiste.
Die Luft schmeckte klar, und er atmete tief durch. Alles wird gut, dachte er. Alles wird gut.
Nur drüben beim Aldi parkte ein anderes Fahrzeug, und er hätte wetten können, dass sich darin ein Pärchen vergnügte.
Im Grunde war es nie mit einer so schön wie mit meiner Gundi, dachte er. Und ich war ein Idiot, ein gottverdammter Idiot, dass ich es nicht geschafft habe, diese Frau zu halten.
Er kramte in der Jackentasche nach Zigaretten. Er bemerkte den Schatten nicht, der hinter dem weißen Container hervorhuschte. Nur eine Möwe flatterte erschrocken auf und zog Wolfgang Müllers Aufmerksamkeit auf sich.
Der Schlag traf ihn mit solcher Wucht, dass er augenblicklich das Bewusstsein verlor. Er wurde über den Asphalt zu seinem eigenen Auto gezerrt. Als sein wehrloser Körper auf den Rücksitz geworfen wurde, knallte sein Kopf innen gegen die Scheibe.
Er war zu lang. Seine Beine ragten heraus. Als seine Füße hineinbugsiert wurden, fuhr auf der Norddeicher Straße ein Polizeiwagen in Richtung Hafen.
Benninga und Schrader wollten all die Orte aufsuchen, wo sich Jugendliche normalerweise nachts im Sommer herumtrieben. Noch hatten sie die Hoffnung nicht aufgegeben, Lucy dort zu finden. Und eine Razzia im Musikschuppen Meta stand eh auf ihrem Programm.
Benninga ging mindestens einmal im Monat zu Meta, um richtig abzurocken, denn da wurde seine Musik gespielt. Er ließ nichts auf den Schuppen kommen und wäre bereit gewesen, ihn mit der Waffe in der Hand gegen eine Schließung zu verteidigen. Aber gleichzeitig fand er es höchst wahrscheinlich, dass sie Lucy dort antreffen würden.
Er hoffte, dass sich alles ostfriesisch-diskret lösen ließe. Er stellte sich jetzt schon vor, wie er ins Protokoll schrieb, sie vor Meta aufgegriffen zu haben. So würde kein Schatten auf seine Stammdisco fallen.
Thomas Schacht parkte den Wagen direkt am Deich. Es war eine sternenklare Nacht. Fast windstill. Hier, an dieser einsamen Stelle, musste er auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nehmen.
Bevor er Wolfgang Müller aus dem Auto zerrte, band er Müllers Füße mit einem Abschleppseil zusammen und verknotete es mit den Armen auf dem Rücken.
Wolfgang Müller stöhnte und wurde wach. Hilflos, wie ein an Land geworfener Fisch, zappelte er herum. Er wusste immer noch nicht, in wessen Hand er sich befand. Er stöhnte, bat um Hilfe und um Gnade.
Wortlos packte Thomas Schacht ihn an den Füßen und stapfte mit ihm den Deich hoch. Müllers Kopf krachte zuerst gegen die Karosserie, dann auf den Boden. Wieder verlor er kurz das Bewusstsein. Erst als Schacht ihn den Deich an der Seeseite herunterrollte, kam er wieder zu sich.
Wolfgang Müller wusste, dass es jetzt um sein Leben ging. Und er erkannte seinen Gegner.
Er vermutete, dass ihm nur noch wenige Minuten blieben, und, für ihn selbst erstaunlich, war eine Frage für ihn wichtig, die er Schacht stellte, als der versuchte, ihn ins Watt zu tragen.
»Du hast sie gezwungen, mich anzurufen, stimmt’s?«
Schacht sackte tief im Schlamm ein. Er antwortete noch nicht. Entweder war die Kraftanstrengung zu groß, mit dieser schweren Last auf dem Rücken durchs Watt zu laufen, oder er musste nachdenken.
»Wenn sie erfährt, was du mit mir tust, wirst du sie sowieso verlieren. Sie liebt mich. Sie hat mich immer geliebt. Nicht dich. Du warst nur ein Übergangsmann, mit dem sie mich eifersüchtig machen wollte.«
Während Wolfgang Müller sprach, hing er kopfüber auf Schachts Schultern. Aus seinem Mund lief Blut. Aus seinem Inneren kam jetzt ein neuer Schwall, der ihn am Reden hinderte, aber er hatte das Gefühl, es seinem Gegner ordentlich zu geben, wenn auch nur verbal.
Er spuckte aus und lästerte: »Wir haben uns getroffen, während ihr schon zusammen wart! Sie hat mir gesagt, wie sehr sie mich liebt! Du hast sie nie wirklich befriedigen können, weißt du das eigentlich, du Versager?«
Thomas Schacht hatte eigentlich vor, viel weiter ins Watt hinauszulaufen, aber er knickte ein und fiel hin. Sie klatschten beide in den Matsch.
Müllers rechter Arm brach dabei mehrfach, weil er mit seinem ganzen Gewicht auf den nach hinten gebogenen Arm fiel.
Schacht erhob sich. Seine gesamte linke Seite war vollgesaut. Er trat nach Wolfgang Müller und schrie: »Natürlich weiß sie Bescheid! Ich habe sie
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