Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Schlepperei, dem ewigen Herumsitzen und zu wenig Bewegung. Manchmal spüren wir hier auch, was uns auf der Seele lastet«, sagte er und drückte beide Hände in seinen Rücken.
»Du meinst, wenn wir den Täter haben, geht es dir besser?«
»Garantiert. Uns allen. Aber so weit ist es noch nicht, Ann Kathrin. Uns steht die Scheiße bis zum Hals. Was hast du jetzt vor?«
»Ich schmiede gerade keine Zukunftspläne. Aber ich versuche, mir ein Bild von unserer Täterin zu machen.«
Er hielt sich die linke Hand ans Ohr, um ihr anzudeuten, wie sehr er ihr lauschte. Gleichzeitig beugte er sich über den Schreibtisch vor und massierte mit der rechten Hand seinen Rücken.
»Wenn jemand Zwillinge stehlen will, muss er zunächst wissen, wo Zwillinge zu holen sind. Die als Krankenschwester verkleidete Frau kannte sich vermutlich im Krankenhaus aus. Sie wählte die richtige Kleidung, die passende Zeit und fiel dem Personal nicht auf. Das gelingt einem Laien kaum.«
Ubbo Heide nickte.
»Entweder ist es eine Bekannte aus dem Umfeld der Familie, was ich aber kaum glaube, denn die wohnen alle zusammen in einem großen Einfamilienhaus. Der rüstige Opa sieht also die Freunde ein- und ausgehen. Er hätte die Krankenschwester garantiert erkannt, wenn sie schon einmal bei ihnen zu Hause zu Besuch gewesen wäre.«
Ubbo zeigte ihr anerkennend den erhobenen Daumen.
»Die Zwillinge waren beim Entführungsversuch zweiundsiebzig Stunden alt. Unwahrscheinlich, dass sie bereits beim Einwohnermeldeamt registriert waren. Die getürkte Krankenschwester ist gezielt dorthin gegangen, um die Zwillinge zu holen. Sie wusste also, dass sie da waren. Die Frage ist, woher?«
Ubbo Heide mischte sich nicht gern in Ann Kathrins Gedankengänge ein. Wahrscheinlich war es der Schmerz, der ihn dazu veranlasste, dies jetzt doch zu tun. Wenn er redete, spürte er das Reißen im Rücken nicht so sehr.
»Das deutet auf jemanden aus dem medizinischen Bereich hin, Ann. Die kennen sich doch untereinander. Der eine erzählt dem anderen Ach, bei uns sind so süße Zwillinge geboren worden und …«
Ann Kathrin nahm einen roten Filzstift und malte einen Kreis auf ein Blatt.
»Das hier ist der Verein von Ollenhauer. Hier verschwand ein Zwilling. Unsere Jule Freytag.«
Sie malte einen zweiten Kreis, der in den ersten hineinragte.
»Dies hier sind die Leute im Elisabeth-Kinderkrankenhaus. Und genau in der Schnittmenge dieser beiden Kreise müssen wir unsere Person suchen.«
»Wenn du eine Verbindung von Ollenhauers Stiftung mit dem Personal, das von der Geburt der Zwillinge wusste, nachweisen kannst, Ann, bestelle ich dir sofort ein Sondereinsatzkommando, und wir nehmen die ganze Bande hopp.«
Mit solchen Ankündigungen war Ubbo Heide sonst sparsam, denn er wusste, dass sie ihn nur zu gern beim Wort nahm, und sein Wort galt. Bisher hatte er noch immer dazu gestanden. Er holte tief Luft und fragte dann: »Aber wie passt die Entführung vor der Schwanen-Apotheke dazu? Und dann die zweite in Norddeich? Das, was du aufzählst, Ann, erforderte gute Planung. Da wusste jemand Bescheid, hat sich jemand verkleidet, die anderen haben angeblich sogar eine ganze Organisation gegründet, um ihre Verbrechen begehen zu können, und hier stiehlt jemand am helllichten Tag ein Kind aus einem Kinderwagen vor der Apotheke? Das sieht doch eher nach einer zufälligen, wenig geplanten Aktion aus.«
»Ja, Ubbo, das ist vielleicht ein Widerspruch. Muss es aber nicht sein. Möglicherweise ist unsere Person verzweifelt. Steht unter Druck. Hat schon lange kein Zwillingspärchen mehr in seine Gewalt bekommen und ist dann urplötzlich vor der Schwanen-Apotheke von dem Anblick übermannt worden …«
»Kann sein«, sagte Ubbo. »Aber wenn die Nummer vor der Schwanen-Apotheke genauso gut geplant war wie die anderen Dinge und wir das nur nicht wissen, weil wir den Plan nicht kennen, dann …«
»Dann will der Täter die Familie zerstören. Die gehen doch jetzt alle aufeinander los. Einer verdächtigt den anderen und …«
»Ja, liebe Ann, das sind alles kluge Gedankenspiele. Aber ich fürchte, uns fehlen die harten Fakten. Deine Theorien werden den Staatsanwalt nicht gerade zu Freudenschreien veranlassen.«
Ann Kathrin schmunzelte.
»Du hast doch noch etwas«, sagte Ubbo Heide. »Ich sehe es dir doch an. Raus mit der Sprache. Du weißt längst, wer sich in dieser Schnittmenge befindet, stimmt’s?«
»Das kann man wohl sagen. Rate mal, wer genau in der entscheidenden Zeit im
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