Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Auseinandersetzung?
Sie legte sich Worte zurecht. Sie hatte alles mit Silke besprochen. Sie würde ihn sofort vor die Alternative stellen, jetzt und hier mit der Anderen Schluss zu machen und sich zu ihr zu bekennen, oder sie würde ihn verlassen.
Doch je näher sie dem Haus kam, desto unsicherer wurde sie, ob er sich wirklich für sie entscheiden würde. Was, wenn er bereit wäre, ihr den Laufpass zu geben und erleichtert in die Scheidung einwilligen würde? Vielleicht schätzte sie ihn falsch ein?
So verunsichert, wie sie jetzt war, traute sie sich kaum noch näher. Für einen Moment haderte sie so sehr mit sich, dass sie fast umgekehrt wäre. Aber dann wurde etwas in ihr stärker, das eine Entscheidung suchte. So oder so.
Sie dachte daran, wie sie gemeinsam mit ihrer Freundin Nils Renken Reiki gegeben hatte. Als diese Energie zwischen ihnen floss, hatten ihre Handinnenflächen fast gebrannt. Sie konnte ihre einzelnen Organe im Körper spüren und fühlte sich von Liebe zu Rupert geradezu durchflutet. Oder war es nur Liebe an sich? War die gar nicht gebunden an Rupert?
Sie wusste jetzt wieder, dass sie eine starke Frau war, in der Lage, sich durchzusetzen. Ja, sie könnte auch ohne Rupert klarkommen. Wie oft hatte sie sich gefragt, wozu sie diesen eingebildeten Macho eigentlich brauchte.
Zu leben wie Silke war keine wirkliche Alternative für sie. Im Grunde ihres Herzens war sie ein Familienmensch.
Der Wagen der Ehebrecherin parkte im von einer Clematis zugewucherten Carport. Auch darin feierten die Insekten eine hörbare Orgie.
Sie wollte nicht klingeln, um den beiden nicht die Möglichkeit zu geben, sich auf ihren Besuch vorzubereiten. Am liebsten wäre sie wie eine Einbrecherin eingestiegen, aber auch das traute sie sich nicht so einfach. Stattdessen schlich sie ums Haus und versuchte, einen Blick durch die Fensterläden zu erhaschen.
Warum, fragte sich Beate, hält jemand bei dem Wetter alle Fenster geschlossen? Man ist doch dankbar für jedes kleine Lüftchen, das weht.
Die selbstgehäkelten Scheibengardinen mit Rosenmuster waren schneeweiß und wurden offensichtlich bestens gepflegt. Die Fenster waren alt und der Kitt bröckelig. Die Holzrahmen rissig. An der Scheibe klebten weiße Haare vom Wollgras.
Hier hatte schon lange niemand mehr Geld investiert.
Sie hat gar keinen Mann, dachte Beate, oder er interessierte sich schon lange nicht mehr für sie und das Haus. Ein Mann hätte doch längst die Fensterrahmen abgeschliffen und neu gestrichen. Eine Frau dagegen kommt vielleicht eher auf die Idee, Häkelgardinen zu waschen und neu aufzuhängen.
Sie musste über ihr eigenes Rollenbild kurz grinsen.
Sie kletterte auf eine Kompostkiste und sah von dort durch die Scheiben in ein kuscheliges ostfriesisches Wohnzimmer.
Auf den ersten Blick sah es einladend und gemütlich aus. Aber bei näherer Betrachtung auf merkwürdige Weise unbewohnt, wie ein Ausstellungsstück im Museum. Als hätte hier jemand ein Wohnzimmer nachgestellt.
Alles war sauber und sehr ordentlich. Alles stand am rechten Ort. Überall waren Deckchen und Kissen. Es stand Nippes herum, kleine Figürchen, Blumenvasen, eine Teekanne und die Tässchen drumherum gruppiert wie für eine Schaufensterdekoration. Von den Wänden hingen Marionetten an Fäden herab. Auf den Sitzkissen und Möbeln waren Puppen drapiert.
Hier wohnte jemand, der sehr kinderlieb war. Aber wo waren die Kinder? Machten sie keine Unordnung?
Beate hörte einen Ton. Ein Wimmern. Eine Art Singsang. War ihr Rupert dazu in der Lage, eine Frau dazu zu bringen, solche Töne von sich zu geben?, fragte sie sich. Oder versuchte das Luder nur, ihn damit völlig verrückt zu machen?
Als sie ihre Nase gegen das Fenster drückte, um noch besser sehen zu können, klappte es ein Stück weit auf. Sie fingerte durch den Spalt und versuchte, es ganz zu öffnen.
Sie roch Vanille und Kokos. Sie vermutete, dass das Aroma von den Duftbäumchen stammte, die am Kronleuchter über dem Tisch baumelten.
Rupert hatte mal so ein Ding im Auto aufgehängt, allerdings mit Tannenaroma. Sie fand es unerträglich und hatte diesen Chemiemüll aus dem Fenster geworfen.
»Wir brauchen hier so etwas nicht«, hatte sie ihn ermahnt. »Es reicht, wenn wir lüften.«
Sie hob ein kleines Stöckchen auf. Damit gelang es ihr, das Fenster zu öffnen. Sie stieg tatsächlich ein und kam sich durchtrieben dabei vor, so, als würde sie ihr altes Leben hinter sich lassen und nun ein neues beginnen, eins voller
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