Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
Kommissarin.« Er redete ohne Unterbrechung weiter. »Ich habe … nein, ich gebe noch immer … mein Wissen und meine Erfahrung an junge Menschen weiter. Jugendliche, denen sonst keiner eine Chance gibt, die nehme ich mit zum Fischen und zur Jagd. Vielen, die auf die schiefe Bahn geraten sind, fehlt einfach nur der Kontakt zur Natur und damit zu sich selbst, zu ihren Wurzeln. Ich lehre sie, dass man Respekt vor der Kreatur haben muss.«
»Wie darf ich mir das vorstellen, Herr Dr. Ollenhauer? Sie nehmen Jugendliche mit nach Afrika und fischen und jagen mit denen?«
Ann Kathrin nahm ihm die Fotos wieder ab.
»Nicht einfach Jugendliche. Sondern sogenannte auffällige Kids, wie es neudeutsch heißt.«
»Sind Sie völlig bescheuert?«, fragte Weller.
Ann Kathrin richtete den Zeigefinger ihrer rechten Hand wie eine Waffe auf ihn. Weller wusste, dass es die letzte Warnung war.
»Vielleicht«, sagte Ann Kathrin, »möchtest du ja gerne draußen warten.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bleibe lieber hier und passe auf, dass du nicht versehentlich kunstvoll plastiniert als Ausstellungsstück an der Tapete da landest. Da ist nämlich noch Platz.«
»Es reicht, Frank!«
Ollenhauer breitete seine Arme aus, als gelte es, ein Kind zu umarmen. »Man nennt das heute Erlebnispädagogik. Das ist Delinquenzprophylaxe. So manch haltloser Jugendlicher wurde schon auf einem Segeltörn in der Karibik zu einem wertvollen Mitglied unserer Gesellschaft. Ich jage halt mit ihnen. Der Kampf zwischen Tier und Mann. Die Jagd auf die Big Five .«
Auf Wellers zornigen Blick hin erklärte er großzügig, während er an den Fingern abzählte: »Afrikanischer Büffel. Afrikanischer Elefant. Löwe. Nashorn und natürlich der Leopard. Wer einmal Hemingway gelesen hat, weiß, wovon ich rede …«
Er geriet ins Schwärmen, bremste sich aber selbst, entschuldigte sich für diesen kleinen Ausflug in die Literatur und behauptete: »Von mir lernen sie, dass man ein Tier nicht ohne Grund tötet. Und man tut es, ohne das Tier zu quälen. Waidgerecht.«
Ann Kathrin wirkte, als fände sie das alles total wichtig und sei froh, dass es endlich gesagt wurde.
»Und es gibt zwei gute Gründe. Entweder, man will das Tier essen, in dem Fall lernen sie von mir, es artgerecht zu schlachten und zuzubereiten, oder um es …«, er deutete auf seine Exponate, »so lebensecht wie möglich …«
»… an die Wand zu hängen«, ergänzte Weller. Dann federte er hoch und ging freiwillig zum Ausgang. »Okay, okay, ich bin ja schon weg.«
Im Hinausgehen berührte er den mächtigen Schwanz eines Blue Marlin.
»Bitte entschuldigen Sie meinen Kollegen, Herr Dr. Ollenhauer. Er ist heute sehr gereizt.«
»Ja. Das merke ich.«
»Darf ich Sie trotzdem um eine Liste Ihrer … Schüler bitten?«
Er nickte und wehrte sich nicht dagegen. Es schien ihm sogar zu gefallen.
»Es müssen im Laufe der Jahre so fünf, sechs Dutzend gewesen sein.«
Ann Kathrin staunte: »Und die haben Sie alle mit auf Safari genommen?«
»Safari ist ein großes Wort. Man macht sich da falsche Vorstellungen. Mit der ersten Gruppe – das war vor knapp zehn Jahren – habe ich auf Mauritius auf Blue Marlin gefischt. Die berühmten Weißen Haie sind gar nicht so gefährlich, aber wir haben einen Mako an Bord gezogen. Der hat um sich gebissen wie ein Hund. Ach, was sage ich, Hund … der hatte ja so ein Maul …«
»Ja«, stöhnte Ann Kathrin, »das war bestimmt sehr aufregend.«
»Wollen Sie das Gebiss mal sehen? Ich habe es nebenan. Die Rückflosse auch.«
»Nein, danke. Aber die Liste hätte ich gern.«
»Darf ich sie Ihnen schicken oder mailen?«
»Haben Sie nichts, das ich mitnehmen kann?«
»Oh doch. Fotoalben voller Erinnerungen. Kommen Sie nur.«
Er ging voran in einen anderen Raum. Das Zimmer war in erdigen Farben gehalten. Dunkle Buchregale voller Fotoalben. Indirektes Licht, hinter Pflanzen versteckt.
»Heute sammelt man so etwas wohl digital auf DVD. Das ist nicht mein Ding. Ich bin aus dem anderen Jahrtausend … Sie verstehen.«
»Ich auch.«
Ann Kathrin sah an der Wand ein sechzig mal achtzig Zentimeter großes Bild. Ollenhauer mit seinen Schülern, vor sich das geschossene Nashorn.
Sie staunte über das Alter der Jugendlichen. Sie sahen aus wie Kinder.
»Das ist ein Breitmaulnashorn.«
»Und Sie haben es geschossen?« fragte Ann Kathrin verständnislos nach.
Er winkte ab. »Jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit Ihren ethischen Bedenken. Die britischen
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