Ostfriesensünde
hat die Seiten gewechselt, Frau Klaasen … das wissen Sie genauso gut wie ich!«
»Hat er nicht!«
»Hat er doch!«
»Hat er nicht!«
Die Tür wurde ungestüm aufgestoßen, blieb aber nach wenigen Zentimetern im dicken Teppichgestrüpp hängen. Die Chinesin richtete eine doppelläufige Flinte auf Ann Kathrin.
»Lass nur, mein Mäuschen«, wiegelte Stenger ab. Aber sein Mäuschen hielt die Läufe unbeirrt auf Ann Kathrin gerichtet.
»Befehlen Sie ihr, sie soll verschwinden!«, forderte Ann Kathrin.
Stenger lächelte. »Ich wiederhole mich niemals. Das untergräbt jede Autorität.«
Er nickte kurz, und die Chinesin schloss die Tür.
Ann Kathrin bemühte sich, gleichmäßig zu atmen und suchte eine Position im Raum, die es ihr erlaubte, Stenger unter Kontrolle zu haben und die Tür ebenfalls. Sie konstatierte, dass es ein schwerer Fehler war, die Tür im Rücken zu haben. So wie Stenger jetzt redete, sprachen Gewinner kurz vor ihrem Triumph. Politiker, die am Wahlabend das Abstimmungsergebnis kannten und sich auf die Fragen der Journalisten freuten, weil sie darin die Gelegenheit zur Selbstdarstellung sahen.
»Wenn Ihr Vater ein sauberer V-Mann war, dann hat er das bei mir verdiente Geld doch sicherlich an die Behörde abgeliefert – oder?«
Ann Kathrin wurde es heiß und kalt. Die Wirbelsäule schien zu glühen, aber ihre Finger waren wie abgestorben. Kalt und feucht. Sie unterdrückte den Wunsch, sich die Hände unter lauwarmem Wasser zu waschen oder sie wenigstens am Jackett abzuputzen und warm zu reiben.
Verdammt, dachte sie, verdammt, er hat recht. Warum bin ich nicht darauf gekommen? Wo ist das Geld geblieben? Wo hat er es wie verbucht?
Stenger genoss ihre Verunsicherung und fuhr fort: »Gibt es dafür bei der Kripo ein eigenes Buchungskonto? Gewinne aus illegalem Glücksspiel, Frauen- und Drogenhandel? Finanziert ihr so eure Weihnachtsfeiern?« Er verzog den Mund. »Nein, dazu waren die Summen wohl doch zu hoch. Das reicht vermutlich, um den Witwen- und Waisenfonds plus den Pensionsfonds üppig auszustatten.«
»Ja, spotten Sie nur! Ich kriege Sie schon noch dran. Ich bin Ihr Albtraum, Stenger. Ich werde nicht ruhen, bis Sie im Knast sitzen.«
»Ja, so sehen Sie aus!«, lachte er. »Wie der Zorn Gottes.«
Er tupfte sich mit dem Ärmel die Nase ab. Jetzt klebte Blut daran.
»Ihre ganze Gruppe war an dem Banküberfall beteiligt. Volker Bogdanski. Achim Kowalski! Stämmler!«
Er guckte, als habe er keine Ahnung, wovon sie redete.
»Oder soll ich lieber sagen, Bogie! Akki! Und wie haben Sie Stämmler genannt? Stämmi?«
Er antwortete sachlich: »Für mich arbeiten zweihundertundvier Partneragenturen in ganz Deutschland. Ich habe freie Mitarbeiter in Holland, Österreich und der Schweiz. Wir leben in einer globalisierten Welt, Frau Klaasen. Ich dehne meine Geschäfte gerade in ganz Europa aus. Ich kannte Herrn Bogdanski, das gebe ich gerne zu. Die Namen der anderen Herren habe ich noch nie gehört. Herr Bogdanski hat mich bei ein, zwei Transaktionen begleitet. Gearbeitet hat keiner der Genannten für mich.«
Sie begann jetzt zu schwitzen. Hier im Raum musste eine irre Hitze sein. Sie fragte sich, wie Stenger das aushielt.
Er sagte: »Nun schauen Sie mich nicht so an! Ihr Vater war kein Heiliger, aber wer ist das schon. Er war es leid, für einen Hungerlohn bei der Kripo den Kopf hinzuhalten, während andere … «
Ann Kathrin trat fest mit dem linken Fuß auf. »Wir bekommen keinen Hungerlohn. Davon kann man gut leben!«
Stenger trommelte einen Takt auf den Schreibtisch. Ann Kathrin fragte sich, ob das irgendein Zeichen war. Aber wenn, dann für wen? Die Chinesin mit dem Zwilling hätte sie gerade locker erledigen können.
Er breitete die Arme zu einer großen Umarmung aus: »Sie sehen das alles viel zu verkniffen, Frau Klaasen. Sehen Sie, ich wurde katholisch erzogen. Bin sozusagen bibelfest. Was erwarten Sie? Der Urvater der Menschheit war ein Dieb. Seine Frau eine Lügnerin. Sie erinnern sich? Adam und Eva. Ihr Sohn ein Mörder. Der andere ein Opfer. Die Menschheit fußt tief in der Kriminalität. Das Kriminelle, das, was Sie verfolgen, ist sozusagen das eigentlich Menschliche.«
»Halten Sie die Schnauze!«, brüllte Ann Kathrin. »Halten Sie Ihr dreckiges Maul, bevor ich es Ihnen stopfe!«
Er schüttelte missbilligend, aber durchaus amüsiert den Kopf. Ann Kathrin fragte sich, ob das Ganze hier aufgenommen wurde. Gab es versteckte Kameras oder zog der die Show nur für sie ab?
Er
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