Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
SOKO holen. Sie schätzen dich. Du bist sehr hoch angesehen. Sie brauchen dich und deinen Sachverstand. Wahrscheinlich würden sie mich auch noch übernehmen, Hauptsache, sie kriegen dich.«
    »Wieso wollt ihr mich alle von diesem Fall wegbringen?«
    »Kriegst du jetzt Paranoia? Glaubst du auch schon, dass ich mit drin hänge? Denkst du, dass wir alle ein riesiges Komplott geschmiedet haben, nur damit der Mörder deines Vaters nicht gefunden wird?«
    »Lass mich jetzt besser allein, Frank. Bitte lass mich allein.«
    »Wie viele Tage deines Lebens hast du schon in diesem Raum verbracht? Meinst du nicht, es reicht?«
    »Bitte lass mich allein, Frank«, wiederholte sie.
    »Willst du nicht wenigstens mal mit Huberkran reden? Er ist ein netter Kerl. Ihr werdet euch bestimmt verstehen. Er … «
    Sie sah aus, als könne sie jeden Moment auf ihn losgehen. Er beschloss, sie doch besser alleine zu lassen.
    Er ging rückwärts zur Tür.
     
    Die Dienststelle hatte Huberkran im Hotel Köhlers Forsthaus am Stadtrand von Aurich untergebracht. Aber obwohl es ihm dort gefiel, war er auf eigene Kosten nach Norddeich gezogen. Er wollte näher ans Meer. Er wohnte im Regina Maris, frühstückte aber im Utkiek. Er wollte jetzt nicht den Deich vor der Nase haben, sondern weit hinausschauen aufs Meer.
    Er fragte sich, ob Menschen, die hier aufgewachsen waren, den Wechsel von Ebbe und Flut spürten oder ob sie, genau wie er, einen Tidekalender brauchten, um zu wissen, wann das Meer zu sehen war und wann nicht.
    Er hatte Glück. Die Wellen schlugen an den Strand. Ein paar Kitesurfer kämpften bereits mit ihren Schirmen. Er sah drei jungen Männern zu, die auf Surfbrettern und an Fallschirmen mit einer irren Geschwindigkeit übers Wasser jagten und mit ihren Sprüngen ein paar Gymnasiastinnen aus Schwaben begeisterten.
    Huberkran aß Rühreier mit Krabben auf Schwarzbrot. Er wusste genau, was er zu tun hatte. Er würde Ann Kathrin Klaasen ein Angebot machen. Er würde ihr geben, was sie wollte, und sie damit für seine Tatortgruppe gewinnen.
    Weller hatte ihn gestern Nacht noch darüber informiert, dass Ann Kathrin sich für die Zeit interessierte, die ihr Vater als Zielfahnder verbracht hatte. Schon vor dem Frühstück hatte Huberkran mit dem Handy ein paar Fäden gezogen. Er ging davon aus, dass die Kollegen jetzt so weit waren. Informell ging alles viel schneller. Man kannte sich von Lehrgängen, einige seiner Schüler saßen inzwischen in entscheidenden Positionen. Er glaubte, das Ganze würde für ihn ein Kinderspiel werden. Es konnte doch nicht so schwer sein, an die Akten heranzukommen!
    Das alles war erst fünfzehn Jahre her. Damals war die Umstellung auf Computer noch nicht überall erfolgt. In den meisten Dienststellen tippte man die Berichte noch auf elektrischen
Schreibmaschinen. Zwei DIN -A 4 -Blätter mit einem schwarzen Kohlepapier dazwischen.
    Die Akten von damals waren nie übertragen worden. Sie lagerten in verstaubten Ordnern auf Dachböden, in Kellern. Auf abgeschlossene Fälle würde der Zugriff schwieriger werden, die wurden bei der Staatsanwaltschaft oder beim Landeskriminalamt eingelagert. Aber die offenen Fälle schimmelten in den jeweiligen Dienststellen vor sich hin.
    Eine Psychologin, die inzwischen in der Personalabteilung arbeitete, hatte ihre Diplomarbeit über die Erfahrungen mit Zielfahndern geschrieben. Sie verglich verschiedene Gruppen miteinander. Warum die einen erfolgreich waren und die anderen nicht.
    Bei manchen Kollegen gab es merkwürdige Verwilderungserscheinungen. Sie lösten sich immer mehr von ihren eigentlichen Dienststellen, wurden zu autonomen Gruppen, die nach eigenen Regeln handelten und kaum noch zu kontrollieren waren. Nur selten ließ man jemanden diesen Job länger als zwei Jahre machen, danach mussten sie in den normalen Dienst zurück oder waren auf ewig »versaut«, wie Huberkran es nannte.
    Nach dem Frühstück machte Huberkran einen Spaziergang am Deich und telefonierte dabei mit Anne Will, die jedes Mal, wenn sie sich vorstellte, ihrem Namen die Worte »nicht verwandt und nicht verschwägert« hinzufügte. In Kollegenkreisen wurde sie nur
Anne Will, die andere
genannt, von langjährigen Kollegen nur noch
Die andere.
    Sie hatte nicht nur einen scharfen Verstand, sondern auch eine ebensolche Zunge. Huberkran erreichte sie nicht, sondern nur ihre militärisch-zackig besprochene Mailbox.
    Aus dem Aktenlager hatte er bereits um kurz vor zehn Uhr die erste Rückmeldung. Entweder hatte es

Weitere Kostenlose Bücher