Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
Möwen da, weil Kinder Popcorn in die Luft warfen.
    Ann Kathrin fühlte sich klein, unverstanden und als Versagerin. Es erschien ihr unglaublich bis absurd, dass jemand sie so sehr wollte. Sie weigerte sich, ihre eigene Bedeutung anzuerkennen. Sie konnte einfach nicht so wichtig sein. Hatte Huberkran sonst nichts zu tun? Gleich regte sich in ihr wieder der Verdacht, er wolle sie auch nur von den weiteren Recherchen abhalten.
    »Ich bin auf der Fähre nach Spiekeroog. Hier ist Isolde Klocke ertrunken.«
    »Ich dachte mir, dass Sie dort keinen Urlaub machen. Ich kann in zwei Stunden da sein.«
    Sie musste grinsen. Diese Franken, dachte sie, mit Ebbe und Flut haben die nichts zu tun. Woher sollte er wissen, dass Spiekeroog als einzige ostfriesische Insel keinen Flugplatz besaß?
    Immer mehr Möwen verfolgten die Fähre, und Väter verfütterten ihren Proviant.
    »Eine Fähre ist keine U-Bahn«, sagte sie.
    Ihr Satz schien ihn zu amüsieren. Sie bildete sich ein, sein überhebliches Grinsen energetisch durchs Handy wahrzunehmen.
    »Ich rufe Sie an, sobald ich auf der Insel bin.«
    Bevor er das Gespräch beenden konnte, fragte sie rasch: »Kann ich die Arbeit von Anne Will lesen?«
    Sie ärgerte sich über ihre viel zu hastige Frage. Jetzt wusste er, dass er sie an der Angel hatte.
    Sie floh unter Deck, weil die Möwen ein fröhliches Zielscheißen auf die sie fütternden Touristen veranstalteten. Der Kapitän
forderte die Passagiere auf, das Füttern der Möwen sofort zu unterlassen.
    »Die Interviews sind anonymisiert, alles nur zur wissenschaftlichen Auswertung, aber ich kann sie Ihnen mailen … Die Arbeit liegt natürlich gedruckt vor … «
    »Am liebsten würde ich mit Anne Will selbst reden.«
    »Auch das lässt sich arrangieren.«
    »Warum tun Sie das alles?«
    Er gab sich jovial. »Ich will Sie für mein Team gewinnen.«
    Er hat tatsächlich »mein Team« gesagt, dachte Ann Kathrin. Er tut, als sei er der Big Boss. Fühlt er sich so? Ist er ein Spinner und sitzt in einer narzisstischen Falle? Will er sein aufgeblähtes Selbstbewusstsein noch überhöhen, indem er eine aus seiner Sicht berühmte Kommissarin hinzuholt?
    Um nichts Falsches oder Verletzendes zu sagen, beendete sie das Gespräch.
     
    Spiekeroog roch anders als alle anderen Inseln. Ann Kathrin bildete sich ein, man könne sie auf einer beliebigen ostfriesischen Insel absetzen und sie würde nachts mit verbundenen Augen die Insel am Geruch erkennen. Das Hochseeklima von Borkum war sowieso unverwechselbar, und auf Spiekeroog konnte sie die Luft schmecken, ja kauen.
    Nein, es war nicht einfach das Meer. Die Nordsee roch auf Juist und Norderney genauso. Vielleicht gab es hier eine Pflanze oder eine Baumart, die sonst nirgendwo existierte. Sie wusste es nicht.
    Aber jetzt, als die lange Karawane der Besucher von der Fähre ins Innere der Insel zog, blieb sie ruhig, mit geschlossenen Augen, stehen. Das Gesicht der Sonne zugewandt, atmete sie nur.
    Sie hatte das von ihrem Vater gelernt: Innehalten, einen Ort erspüren und erschnuppern. Bereit sein, etwas in sich aufzunehmen, nannte er das.
    Als sie noch in Gelsenkirchen wohnten, hatte er aus dem Urlaub keine Andenken mitgenommen wie andere Menschen, sondern Gläser voller Luft. Es war ein Spiel, es hatte ihr Spaß gemacht. Sie sammelten das Jahr über leere Marmeladengläser, spülten sie sorgfältig mit klarem Wasser aus und nahmen dann aus dem Urlaub Luft mit nach Hause. Die beschrifteten Gläser hatten sie manchmal gemeinsam geöffnet, abends, wenn ihr Vater nach Hause kam und trotz der Erschöpfung noch etwas Schönes mit seiner Tochter machen wollte.
    »Komm, wir nehmen noch eine Nase … «, sagte er dann schmunzelnd, und sie diskutierten lange, ob jetzt Festlandluft aus Norddeich bei Ebbe oder Hafenluft aus Greetsiel besser sei als eine Brise Seeseite Norderney.
    Sie hatten ein Ratespiel daraus gemacht. Sie verband ihrem Vater die Augen, und er musste erriechen, woher die Luft war. Sie hatten gut dreißig verschiedene Konserven, und er lag nur einmal falsch in all den Jahren. Vielleicht schummelte er irgendwie, aber sie kriegte nie heraus, wie.
    Als ihre Mutter fast ein wenig eifersüchtig einwendete, die Inselluft sei doch längst aus den Gläsern heraus, hatte ihr Vater seine Frau nur mitleidig angesehen und über so viel Phantasielosigkeit den Kopf geschüttelt.
     
    Als Ann Kathrin Klaasen das Hotel Inselfriede im Süderloog betrat, raste ihr Herz, und ihre Handinnenflächen wurden feucht. Fast

Weitere Kostenlose Bücher