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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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wäre sie wieder umgekehrt, um in der alten Inselkirche gegenüber zu beten. Sie fühlte sich wie in ihrer vorpubertären Zeit, als sie noch der festen Überzeugung war, mit einem guten Gebet ließen sich alle Probleme lösen.
    Die Inselkirche war das älteste erhaltene Gotteshaus auf den ostfriesischen Inseln. Ann Kathrin erinnerte sich an Geschichten, die ihr Vater ihr erzählt hatte. Direkt unter dem Altar der Kirche sei bei Ausgrabungen ein Skelett gefunden worden, in
dem sogar noch ein spanischer Degen steckte, woraus ihr Vater folgerte, dass ein Schiff der spanischen Armada vor Spiekeroog gekentert sei. Wahrscheinlich hätten die Spiekerooger Inselpiraten das Schiff geplündert.
    Ann Kathrin hatte gar nicht genug von solchen Geschichten bekommen können. Noch heute wusste sie nicht, ob etwas Wahres dran war oder nicht.
    Ein Oberstudienrat aus Bochum tänzelte vor der Rezeption herum und wollte kurz vor seiner Abreise gleich fürs nächste Jahr wieder buchen. Er bestand darauf, das gleiche Zimmer wiederzubekommen, mit Schnarcherarrangement. Seine Frau stand ein bisschen abseits. Sie sah verlegen auf ihren Samsonite-Koffer und tat, als ob ihr Mann nicht zu ihr gehören würde. Der schwor laut, nie wieder nach Mallorca zu fliegen, dort habe er drei verregnete Sommer in einem Hotel ohne Heizung verbracht.
    »Schatz, mach!«, rief seine Frau jetzt. »Das interessiert die Leute nicht!« Sie schob die riesige Sonnenbrille auf der Nase höher.
    Die blonde Frau hinter der Rezeption bemühte sich höflich um Ausgleich. Sie lächelte den Oberstudienrat an, aber nicht zu lasziv, und sagte schmunzelnd: »Aber die Hotels auf Mallorca haben doch bestimmt auch Heizungen.«
    Als hätte er auf das Stichwort gewartet, stellte er sich bequemer hin und begann seine Mallorca-Erfahrungen vor ihr auszubreiten.
    »Klar haben die Heizungen, solche Trümmer! Aber die Mallorquiner machen die nur im Winter an, nicht etwa, wenn es kalt wird.« Er deutete mit der Hand Scheibenwischer vor seinem Gesicht an. »Hier haben wir jedenfalls nicht gefroren.«
    Ann Kathrin Klaasen räusperte sich, um die Sache abzukürzen. Der Bochumer Oberstudienrat sah sich kurz nach ihr um, stockte, und dann kam es Ann Kathrin vor, als würde er sie
mit seinen Blicken abtasten, wobei er sich weniger für ihr Gesicht, aber umso mehr für ihre Beine und ihre Hüften interessierte.
    »Schaaatz!«, rief seine Frau genervt. »Die Koffer sind schon in der Pferdekutsche!«
    Er verabschiedete sich noch einmal überschwänglich, ließ zwanzig Euro »für das Personal« da und verschwand mit seiner Frau, nicht ohne sich noch einmal nach Ann Kathrin umzudrehen und ihr zuzuzwinkern.
    Die Dame hinter der Rezeption lächelte milde. »Das macht die Meerluft. Sie wirkt auf manche Männer wie eine Dosis Viagra. Ach, was sag ich, nicht nur auf die Männer. Viele Paare verlieben sich hier neu. Sie glauben ja nicht, was hier los ist!«
    »Doch«, sagte Ann Kathrin, »ich kann es mir denken.«
    Zum ersten Mal in ihrem Leben stellte sie sich ihren Vater im Bett mit einer anderen Frau vor. Mit Isolde Klocke. Schamesröte stieg ihr ins Gesicht, und sie kam sich lächerlich dabei vor. Wieder wäre sie am liebsten weggelaufen, hinein in den Schutz der Kirche gegenüber.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Hotelangestellte. Ann Kathrin versuchte, das Namensschild an ihrer Weste zu entziffern, doch es war, als würden die Buchstaben vor ihren Augen verschwimmen.
    Mir wird schwindlig, dachte Ann Kathrin. Sie versuchte, ruhig zu atmen, und versprach sich selbst, gleich nach diesem Gespräch ein Glas Wasser zu trinken und dann endlich etwas zu essen.
    Ann Kathrin legte das Foto auf den Tresen.
    »Ich … ich … das kommt Ihnen jetzt vielleicht komisch vor, aber für mich ist es ziemlich wichtig. Ich habe ein Foto von meinem Vater, er muss vor fünfzehn Jahren hier Urlaub gemacht haben. Also, hinten auf dem Foto steht: Hotel Inselfriede, Spiekeroog.«
    »Ach, ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Damals war ich noch nicht hier.«
    Etwas in Ann Kathrin brach zusammen. Sie spürte es wie einen Turm aus Hoffnungen und Ängsten, der einstürzte und eine entsetzliche Leere hinterließ.
    Da piepste eine Stimme hinter ihr: »Aber ich!«
    Die Frau sprach mit deutlich mecklenburgischer Sprachfärbung. Sie hieß Piri Bendlin und sprudelte nur so heraus. Sie war neunundachtzig aus Bad Doberan nach Spiekeroog gekommen, »praktisch pünktlich zum Weihnachtsgeschäft«. Nein, sie sei

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