Ostfriesensünde
keineswegs der D-Mark hinterhergelaufen und sie habe sich sehr wohl gefühlt in Bad Doberan.
»Warum macht man die dümmsten Dinge des Lebens?«, fragte sie und gab sich gleich selbst die Antwort: »Natürlich der Liebe wegen. Er hat mich längst verlassen, aber die Liebe zu Spiekeroog ist geblieben!«
Sie hatte lebhafte braune Augen, und ihre widerspenstigen Haare hatten ihr den Spitznamen »Pumuckl« eingebracht.
Ann Kathrin zog sich mit Piri Bendlin ins Café Teetied zurück. Ann Kathrin bestellte sich ein großes Frühstück mit frischgepresstem Orangensaft und Spiegeleiern, aber statt Ostfriesentee nahm sie ein Kännchen Kaffee.
Piri Bendlin hatte angeblich keinen Hunger und war mit einer Cola Zero zufrieden. Aber dann, als das Essen auf dem Tisch stand, rührte Ann Kathrin fast nichts an, während Piri Bendlin immer wieder zugriff und sich dabei von Zeit zu Zeit vergewisserte: »Sie haben doch nichts dagegen, Frau Klaasen, oder?«
Piri Bendlin konnte sich sehr gut an Isolde Klocke und Ludwig Stein erinnern. »Die beiden hatten ein großes Zimmer, hintenraus zum Deich. Sie waren sehr angenehm. Er war ein ganz feiner Mann, zum Verlieben, sag ich Ihnen. Ich glaube, er handelte mit Gemälden oder Antiquitäten, jedenfalls hatte er eine ganze Kollektion wertvoller Uhren bei sich. Rolex, Breitling, IWC –
ich hab ja täglich die Zimmer aufgeräumt, und da lagen die Sachen immer ganz offen herum. Man sieht als Zimmermädchen ja viel und man ist es gewöhnt, diskret zu sein. Einmal habe ich eine goldene Kreditkarte von ihm gefunden. Sie war unter den Schrank gerutscht, wenn ich mich recht entsinne. Eine goldene Diners-Club-Karte, das war damals hip. Ich habe sie ihm wiedergegeben und er hat sich sehr großzügig gezeigt. Ich habe von ihm das höchste Trinkgeld meines Lebens bekommen.«
»Wie viel war das denn?«, fragte Ann Kathrin.
»Fünfzig Mark. Das war damals unglaublich viel Geld.«
Piri Bendlin zupfte mit ihren Fingern ein Rosinenbrötchen auseinander und stopfte sich die Flocken davon in den Mund. Dabei kaute sie nur auf der rechten Seite, aber sie schien nichts hinunterzuschlucken, so dass ihr Gesicht unförmig und rechts pausbackig wurde.
»Schön, dass Sie sich so gut erinnern. Was Sie sagen, hilft mir wirklich weiter. Haben die beiden mal Besuch bekommen oder hier andere Leute getroffen?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich kann mich an den schrecklichen Streit zwischen ihnen erinnern. Danach ist er abgereist, und sie blieb alleine zurück. Ein weinendes Häufchen Elend. Sie wollte das Zimmer gar nicht verlassen, weil sie so schrecklich verheult aussah. Ich habe ihr das Abendessen auf dem Zimmer serviert, aber später habe ich es fast unberührt wieder abgeräumt. Übrigens, Sie essen ja auch nichts.«
Fast zeitgleich mit Piri Bendlins Aussage kam Ann Kathrins Magenknurren. Beide Frauen lachten. Das Gespräch, das gerade noch steinschwer auf Ann Kathrin lastete, wurde ein bisschen leichter.
Ann Kathrin nahm sogar einen Schluck Kaffee. Inzwischen war er kalt geworden. Sie rollte eine Scheibe Salami und eine Scheibe Gouda zusammen und biss hinein.
»Oh, habe ich Ihnen die Brötchen weggegessen? Wir können
gerne noch einen neuen Brotkorb bestellen. Ich zahle das auch für Sie.«
»Nein, wenn überhaupt, dann bin ich Ihnen etwas schuldig«, sagte Ann Kathrin und zerteilte das Spiegelei mit ihrer Gabel.
»Wie ging es weiter?«
»Na ja, am nächsten Tag ist sie dann ertrunken. Also, hier glauben natürlich alle, dass es Selbstmord war. Ich auch. Sie ist ins Wasser gegangen, wie man so schön sagt. Aus Liebeskummer. Richtig romantisch, was? Ich war auch ein paar Mal so weit, habe aber nie den Mut dafür aufgebracht oder mich dann wieder neu verliebt. Wenn schon nicht in andere Männer, dann wenigstens in diese Insel hier. Man kann sich doch nicht umbringen, solange es so einen schönen Fleck auf der Erde gibt. Kennen Sie die Insel? Sind Sie schon richtig herumgekommen? Ich kann Ihnen ein paar schöne Ecken zeigen, da … «
Ann Kathrin winkte ab. »Danke, danke.«
Jetzt, da sie die ersten Bissen heruntergeschluckt hatte, begann sie mit Heißhunger zu essen.
»Was war das für ein Tag, als sie ertrank? Wo wurde ihre Leiche angeschwemmt?«
Piri Bendlin schüttelte den Kopf und kratzte sich die Kopfhaut. Ihre Haare waren gar nicht so widerborstig, wie sie aussahen, sondern das Ganze war kunstvoll mit viel Haargel zu so einem abstehenden Büschel geformt worden. Ganze Teile pappten wie ein Brett
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