Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
Katja zusammen zu sein machte sie mutiger.
10. Kapitel
I m Besprechungsraum des K1 im Polizeihochhaus, siebter Stock, war es kühl. Irgendjemand hatte mitgedacht und vor der Einsatzbesprechung die Fenster geöffnet, um den Büromief gegen kalte Herbstluft auszuwechseln. Horst Egon Gabler stand vor seiner neu gebildeten Mordkommission und schrieb mit einem quietschenden Faserstift ein paar Stichworte auf das Whiteboard. Er drehte sich um und musterte seine Leute: viele vertraute Gesichter sowie zwei neue, von denen sich zumindest einer gut in sein Team integrieren würde, wie er hoffte. Frau Korittki würde ja bald ausfallen … Sehr ärgerlich. Er wusste doch, wie so etwas lief. Erst schrien sie, dass sie gleich wieder zurück in den Beruf wollten, aber wenn das Baby dann da war, spielten die Hormone verrückt, und aus ein paar Wochen wurden drei bis zwölf Jahre Erziehungszeit. Es konnte nicht schaden, wenn er sich die neuen Kollegen schon mal genauer ansah.
»Wie Sie alle wissen, sind seit Timo Feldheims Tod mehr als achtundvierzig Stunden vergangen«, sagte er einleitend. Er spürte, dass er die volle Aufmerksamkeit seiner Leute hatte. »Sie alle wissen, was das bedeutet: Wir haben noch kein Motiv und keinen Tatverdächtigen. Noch nicht einmal die Tatwaffe! Wir gehen jetzt noch einmal zusammen den Tatortbericht durch. Die Spurensicherung hat insgesamt einhundertdreiundsiebzig Spuren am Tatort gesichert.« Gablers Augen wanderten über die Anwesenden. »Und zwar in dem üblichen Verfahren: im Uhrzeigersinn, spiralförmig um den Tatort herum. Das Waldstück, in dem Timo Feldheim erschossen wurde, gehört zu einem beliebten Naherholungsgebiet auf dem Priwall. Da schmeißen alle möglichen Leute ihren Dreck hin. Die Herausforderung ist also, aus den hundertdreiundsiebzig Spuren die herauszufiltern, die etwas mit der Tat zu tun haben könnten. Und Fehler können wir uns dabei nicht erlauben.«
»Ich dachte, wir wissen zumindest schon, wo der Schütze gestanden hat«, warf Broders ein. »Dieser Holzschuppen stand doch genau in Schussrichtung. Außerdem wurde dort eine Patronenhülse gefunden, die ausgeworfen wurde, als der Schütze repetiert hat.«
»Möchten Sie übernehmen, Broders?«
»Schon gut.« Er winkte ab und lehnte sich zurück.
»Die Obduktion des Toten hat ergeben, dass es sich bei den Schüssen nicht um Nahschüsse gehandelt haben kann. Keine Stanzmarken, Pulverschmauch oder Pulvereinsprengungen am Körper des Opfers. Der Schusskanal und der Fundort der Geschosse weisen darauf hin, dass sich der Schütze in dem Holzschuppen verborgen gehalten hat, als er auf das Opfer schoss. Die Fensteröffnung liegt in Richtung des Postens, an dem Timo Feldheim sich befand, als er von den Kugeln getroffen wurde. Die Entfernung von unserem Opfer zu dem Holzschuppen beträgt siebenunddreißig Meter. Das Schloss des Schuppens, ein einfaches Vorhängeschloss, wurde aufgebrochen vorgefunden. Der Fußboden dort besteht aus fest getrampeltem Erdboden. Wir haben einen halben Schuhabdruck, der mit Gips ausgegossen wurde. Es ist der Abdruck eines rechten Gummistiefels Größe dreiundvierzig, eine Marke, die in jedem Landhandel tausendfach verkauft wird. Es wurden Faserspuren im Schuppen gesichert. Schwarze Baumwollfasern und Fasern aus einem olivenfarbenen Baumwoll-Synthetik-Gemisch. Sie sind an dem rauen Holz an der Fensteröffnung sichergestellt worden. Die genaue Analyse der Fasern ist aber noch nicht abgeschlossen …«
So ging es weiter, Spur für Spur. Nachdem Gabler das letzte Foto mit der Spur Nummer 173 für alle sichtbar an die Rückseite des Raumes projiziert hatte, wurde es lauter im Zimmer. Die Frage war, welche der Spuren eine weitergehende Untersuchung rechtfertigten. Nachdem sie damit durch waren, wäre es eigentlich Zeit für eine kurze Pause gewesen. Er merkte wie die Konzentration, auch seine eigene, nachließ. Da er aber in einer Stunde den nächsten Termin hatte, entschloss er sich, die Besprechung durchzuziehen.
»Nun zu der mutmaßlichen Tatwaffe, die, wie Sie ja alle wissen, noch nicht gefunden wurde. Dazu aber später. Bei den drei am Tatort sichergestellten Projektilen handelt es sich um das Kaliber 9,3 x 62. Es wurde von einem Kolonialbeamten in Afrika zur Großwildjagd entwickelt und wird hier zur Jagd auf Schwarzwild eingesetzt.« Irgendjemand im Raum pfiff leise durch die Zähne. »Wir suchen also eine Langwaffe, einen Repetierer. Einen Repetierer deshalb, weil er eine schnellere Schussfolge
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