Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
das Schildchen eines Teebeutels hing.
»Ist der für mich?«, fragte sie, bemüht, nicht zu erstaunt zu klingen.
»Tut mir leid. Ich war wohl etwas neben der Spur. Du trinkst doch immer diesen Melissentee zur Beruhigung, oder?«
Solveigh nahm den Becher entgegen, war gerührt. »Oh, das ist jetzt genau das Richtige. Danke schön. Wenn du was Warmes essen möchtest: Da ist noch eine Portion Geschnetzeltes mit Reis im Kühlschrank, das kannst du dir eben in der Mikrowelle aufwärmen.«
Er reagierte nicht auf dieses Angebot, sondern hockte sich neben dem Sofa zu ihr hin und sah sie forschend an. »Eine Sache noch«, sagte er in verändertem Tonfall.
»Ja?« Sein Atem roch nach Fanta und Oldesloer Korn.
»Das in der Bibliothek vergessen wir. Aber ich will, dass du dich nicht mehr mit Katja Simon triffst. Ich weiß, ihr kennt euch von früher, alte Mädchenfreundschaft und so weiter, aber heute müsst ihr euch nicht mehr kennen. Die ist kein Umgang für uns.«
»Wie meinst du das?«
»So, wie ich es sage«, schrie er sie plötzlich an, und seine Hand griff wieder in das weiche, empfindliche Fleisch ihres linken Oberarms. Der Tee, den sie mit ihrer rechten Hand gerade zum Mund führen wollte, verharrte in der Luft. Verdammt, war der Becher heiß! Sissis ebenmäßiges Gesicht mit dem dichten, braunen Haar – war das eigentlich echt gewesen? – starrte sie gleichgültig, fast spöttisch an.
»Du brauchst dich gar nicht so aufzuregen. Ich treffe Katja ja wirklich nur ganz selten. Aber ich sehe nicht ein, warum sie nicht meine Freundin bleiben sollte.« Eine der vielen, dachte Solveigh ironisch, denn seit sie mit Rainer zusammen war, hatten sich die wenigen Freundinnen, die sie je besessen hatte, klammheimlich und eine nach der anderen, aus ihrem Leben verabschiedet.
»Du verstehst es nicht: Ich will mit solchen Leuten überhaupt nichts zu tun haben. Alles redet über den Mord. Hast du vergessen, dass der Mann von der Simon von jemandem abgeschossen wurde wie ein verdammtes Karnickel?«
»Das ist nicht Katjas Schuld. Sie braucht mich jetzt.«
»Ich meine es ernst, Solveigh!« Der Druck seiner Finger verstärkte sich.
Es tat verdammt weh, aber sie versuchte, nicht einmal das Gesicht zu verziehen. »Ich auch. Lass mich los!«
»Ach, ist der andere etwa ein Weichei? Packt der vielleicht weniger fest zu?«, fuhr er sie böse an.
Das ging zu weit. Sie versuchte, ihren Arm wegzuziehen; dabei schwappte der Tee im Becher, und etwas von der siedend heißen Flüssigkeit tropfte auf ihren Bauch. Sie biss sich auf die Lippe, weil jeder Schmerzenslaut Rainer zu weiteren Übergriffen animieren würde, und versuchte stattdessen, den Becher auf dem Couchtisch abzustellen. Er riss sie grob zurück, und ehe Solveigh ganz begriffen hatte, was geschah, ergoss sich ein Schwall brühend heißen Tees über Rainers Brust. Er starrte sie schockiert an, versuchte, sich das nasse Hemd von der Haut zu ziehen. Dann, ehe Solveigh es recht begriff, landete seine Faust auf ihrer Augenbraue.
15. Kapitel
P ia schreckte auf, als das Telefon klingelte. Sie stieß gegen die Wasserflasche auf ihrem Schreibtisch, die wegrollte und polternd zu Boden fiel. Zum Glück war es eine aus Plastik … und sie war richtig zugedreht. Pia rieb sich die Augen und angelte nach der Flasche. Peinlich, am Arbeitsplatz einzuschlafen. Zugegeben, der Bericht, den sie gerade las, war trocken und langatmig. Trotzdem war ihr das noch nie passiert, und schon gar nicht mitten in einer aktuellen Ermittlung. Sie warf einen Blick auf die Uhr: kurz nach acht. Ihre Müdigkeit war lächerlich … und machte sie verletzlich. Es klingelte wieder. Eigentlich hätte längst die Zentrale den Anruf annehmen müssen. Als es zum vierten Mal läutete, siegten Pias Neugierde und ihr schlechtes Gewissen.
Marianne Fierck, die ehemalige Erzieherin von Katja Simon, war am Apparat. »Frau Korittki? Ich weiß, es ist schon spät«, sagte sie. »Ich habe den ganzen Tag hin und her überlegt, ob ich Sie damit belästigen soll, und jetzt bin ich mir auf einmal sicher.«
»Worum geht es?«
»Sie haben mich doch nach Katja Simon gefragt, einer meiner früheren Heimschülerinnen …«
»Ja, genau. Ich war im Zuge unserer Ermittlungen im Mordfall Feldheim bei Ihnen.«
»Zuerst habe ich gar nicht daran gedacht, und dann meinte ich, es spielt keine Rolle. Ich bin keine Klatschtante, wissen Sie, und ich möchte die Privatsphäre meiner ehemaligen Zöglinge auch heute noch gewahrt wissen. Aber da
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