Ostseefluch
ließ ihn los. Er richtete sich auf und funkelte sie wütend an.
»Was hat der Idiot da gerade gesagt?«, fragte Klaasen mit einem hinterhältigen Lächeln.
»Das sollte er besser nicht wiederholen«, drohte Wohlert. ACAB, All cops are bastards , wurde auch von Polizisten verstanden. Sie zuckten zusammen, als es blitzte und kurz darauf ein lauter Donnerknall durch das Haus hallte.
Heinz Broders hatte in Burg eine Wagenladung voll Pizza für alle besorgt. Er war seit dem frühen Vormittag auf Mordkuhlen, und niemand wusste, wie lange sie noch dort würden ausharren müssen. Die drei Bewohner des Hauses befanden sich gut bewacht im Obergeschoss, während Pia, Broders und Rist in der Küche saßen und aßen. Gabler hatte vorgegeben, keinen Hunger zu haben, und Juliane und Wohlert wollten später essen. Außerdem musste jemand Frank Albrecht beobachten, während er mit wichtiger Miene durch das Haus schritt und Zwiesprache mit den Geistern hielt.
»Hat der Scheißkerl dir eben wehgetan?«, fragte Conrad Wohlert, während Pia ihre Pizza in Achtel schnitt.
»Nein. Aber ich könnte ihn trotzdem erwürgen«, sagte sie. Broders sah von einem zum anderen. »Ich hab was verpasst, oder?«
»War nur ein unbedeutender Zwischenfall«, sagte sie. »Einfache körperliche Gewalt.«
»Du könntest ihn wegen Beamtenbeleidigung drankriegen«, schlug Wohlert vor.
»Vielleicht drohe ich ihm damit, wenn er nicht bald seinen Mund aufmacht.« Pia biss in ihre Pizza. Die ersten Regentropfen prallten gegen die staubige Fensterscheibe.
Nachdem sie so viel in sich hineingestopft hatte, dass sie den Abend, vielleicht auch die ganze Nacht ohne Magenknurren würde überstehen können, ging Pia in die Diele und zog ihr Mobiltelefon hervor. Mit jeder Minute, die verstrich, wurde es unwahrscheinlicher, dass Zoe unversehrt irgendwo gefunden wurde oder dass sie in absehbarer Zeit nach Hause kam. Die Anspannung und Angst, die im Haus spürbar waren, wurden von dem Gewitter, das draußen tobte, noch verstärkt. Der Regen prasselte nun hart gegen das einfach verglaste Fenster. Es hörte sich so an, als würde jemand Kies dagegenwerfen. Vor wenigen Stunden hätte Pia sich über den Wetterwechsel gefreut: die lang ersehnte Abkühlung. Nun setzte ihr das Wissen zu, dass jede Spur unter freiem Himmel durch den starken Regen zunichtegemacht werden würde. Und irgendwo da draußen war das Kind – ängstlich und vielleicht auch in großer Gefahr. Und das war noch die bessere der denkbaren Möglichkeiten.
Pia wählte die Nummer ihrer Mutter und erkundigte sich nach Felix. Er wollte mit ihr telefonieren. Als er den Hörer hingehalten bekam, atmete er laut ins Telefon, lauschte anscheinend der Stimme seiner Mama, sagte aber nichts. Pia überlief eine Gänsehaut, und das lag nicht nur an dem dünnen kurzärmeligen T-Shirt, das sie trug, während die Temperaturen gerade innerhalb von Minuten um mindestens zehn Grad gefallen waren.
Sie hatte das Gespräch eben beendet, als ein Auto mit aufgeblendeten Scheinwerfern in die Einfahrt fuhr. Durch das Dielenfenster am Treppenaufgang sah Pia, wie ein alter weißer Golf mit Ostholsteiner Kennzeichen mitten auf dem Vorplatz hielt. Die Fahrertür öffnete sich, und Jesko Ebel lief in geduckter Haltung auf den Eingang zu.
Pia fing ihn vor der Tür ab. »Kein Zutritt für die Presse.«
»Ich muss mit Ihnen reden. Soll ich erst bis auf die Haut nass werden, bevor Sie mich reinlassen?«
»Ich hoffe, Sie haben wichtige Neuigkeiten für uns.« Widerstrebend trat Pia einen Schritt zur Seite.
Er schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Ein richtiges Unwetter ist das, oder? Als ob die Welt untergeht.«
»Geht es um Zoe Seibel?«, fragte Pia.
Er nickte.
»Kommen Sie mit.« Sie führte ihn in Richtung Wohnraum zu Gabler. Es war keine Zeit für »Stille Post«.
Unglücklicherweise begegnete ihnen im Flur Patrick Grieger, der wohl auf dem Weg zur Toilette war. Als er Ebel sah, kniff er die Augen zusammen. »Dich kenne ich doch!«
Pia stellte sich zwischen die Männer. »Nicht schon wieder«, sagte sie. »Wenn Sie handgreiflich werden, Herr Grieger, lasse ich Sie festnehmen.«
»Schon gut. Hab verstanden. Aber was will der hier?«
»Mit der Polizei reden. Er glaubt, dass er helfen kann.« Hoffentlich versuchte Ebel nicht, sie reinzulegen! Es war eine Suchmeldung übers Radio herausgegeben worden, bei der die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach Zoe gebeten worden war. Die Presseleute waren mit einer Pressekonferenz
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