Ostseefluch
landete auf dem Teppich. »Reicht es nicht langsam?«, fragte er. »Haben Sie immer noch nicht genug?«
»Darum geht es nicht. Es geht darum, den Täter zu finden. Denjenigen, der Ihre Tochter umgebracht hat. Syphilis kommt heutzutage nicht mehr so häufig vor. Man holt sie sich nicht an jeder Ecke. Und wir müssen herausfinden, mit wem sie alles Umgang hatte. Aus Ermittlungsgründen.«
»Fragen Sie dazu doch auch meine Frau!«, sagte er bissig. »Sie weiß sowieso alles besser. Fragen Sie Judith, wo sich ihr Töchterchen so alles herumgetrieben hat!«
Doch auch Judith Ingwers konnte ihnen in dieser wichtigen Frage angeblich nicht weiterhelfen. Sie stand in der Küche und schrappte Möhren. Normalerweise nicht die klassische Befragungssituation, doch aus ihren hochroten Wangen und den fahrigen Bewegungen schloss Pia, dass Milenas Mutter über das übliche Maß hinaus nervös war. »Ich bin sehr spät dran mit dem Mittag«, entschuldigte sie sich. »Aber ich wusste nicht, dass Rudolf hier sein würde. Das ist er sonst nie, wissen Sie. Er kam einfach unangemeldet, und nun ...« Sie deutete hilflos auf das Gemüse auf der Arbeitsplatte.
»Wir möchten mit Ihnen über Ihre Tochter sprechen.«
»Milena war vom rechten Weg abgekommen«, klagte Judith Ingwers. »Sie hatte sich verlaufen. So müssen Sie sich das vorstellen. Zuerst die falschen Freunde, dann hat sie die Ausbildung geschmissen und zum Schluss dieses furchtbare Haus, in das sie da eingezogen ist.«
»Wieso furchtbar?«
»Also wirklich! Sie waren doch bestimmt da. Man nennt es Mordkuhlen , weil dort diese gottlosen, schrecklichen Dinge passiert sind. Da hat ein Seemann seine Familie ausgelöscht. Es heißt, das Haus sei verflucht. Nach den grausamen Vorfällen wollte kein Christenmensch mehr dort wohnen. Bis diese Kommune es gemietet hat.«
»Kennen Sie die Bewohner?«
Sie schnaubte verächtlich. »Herr Jesus Christus, steh mir bei!«
»Beantworten Sie bitte die Frage!«, schaltete sich Heinz Broders ein.
Judith Ingwers deutete mit einer halb geschrappten Möhre auf ihn. »Da könnte ich mich auch mit dem Satan persönlich zum Kaffeekränzchen treffen, nicht wahr? Für Sie macht das sowieso keinen Unterschied!« In ihrem Mundwinkel bildete sich eine Schaumblase.
»Frau Ingwers, beruhigen Sie sich!« Pia sah ihren Kollegen schon mit einem Kartoffelschälmesser im Oberarm vor sich. Oder der spitz zugeschnittenen Möhre im Auge.
»Sie beide tragen ja auch keinen Ring am Finger. Sie haben bestimmt Verständnis für diese Leute da. Die in den Tag hinein leben, in Sünde, und dabei noch ihre Kinder mit in diesen Sumpf ziehen.«
»Wo waren Sie an dem Tag, als Milena ums Leben gekommen ist?« Pia fand, dass es Zeit war, das Thema zu wechseln.
Judith Ingwers griff zur nächsten Möhre und schrappte sie. »Die meiste Zeit war ich zu Hause. Hier macht sich nichts von allein. Außerdem habe ich zwei Jagdhunde, die trainiert und bewegt werden wollen.«
»Hm ... wo sind die Tiere denn?«
»Im Zwinger. Neben der Garage.« Sie stockte und biss sich auf die Lippe.
»Waren Sie, als Sie mit den Hunden draußen waren, in der Nähe von Mordkuhlen? Vielleicht haben Sie etwas gesehen, das, im Nachhinein betrachtet, wichtig ist?«
»Ich war nicht da.« Sie warf die geschrappte Möhre in ein Sieb in der Spüle.
»Wissen Sie, wo Ihr Mann zu der Zeit war?«
Stumm schüttelte sie den Kopf.
»Er sagte uns, Sie seien in einer Art Bibelkreis aktiv. Was ist das für eine Organisation?«, fragte Pia.
Broders signalisierte Pia hinter Judith Ingwers’ Rücken, dass er die Frage überflüssig fand. Doch die Frau hob den Kopf, sah Pia in die Augen, und ihr vor Kummer verzerrtes Gesicht hellte sich ein wenig auf.
»Das ist der ›Gebets- und Bibelkreis Wagrien‹. Wir sind ein loser Zusammenschluss gleich gesinnter Christen, die in Jesu Worten und Taten Trost und Beistand suchen.«
»Wie können wir uns das vorstellen?«
»Wenn einer von uns ein Problem oder eine Sorge vorträgt, bieten wir ihm Trost oder suchen gemeinsam nach einer Lösung.«
»Wo?«
»Im Buch.«
»Sie meinen die Bibel?«
Ihr Mund verzog sich leicht, doch sie antwortete nicht.
»Haben Sie dort, in diesem Betkreis, auch Ihre Probleme mit Milena erörtert?«
Judith Ingwers straffte sich. »Alles, was wir da besprechen, bleibt im Kreis. Nichts dringt nach draußen. Es ist eine Frage des Vertrauens ... und des Glaubens.«
»Ist Ihr Mann auch ... in dem Kreis?«
»Noch nicht«, sagte sie. »Und ich
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