Ostseefluch
Terrain begab. »Wollen wir uns nicht irgendwo hinsetzen?«
»Gute Idee.« Pia sah sich suchend um. »Ich kann tatsächlich nicht gut stehen, reden und essen gleichzeitig.« Sie fanden einen Platz an einer der Bierzeltgarnituren unter der Kastanie, die mitten im Hof stand.
»Ich hol uns was zu trinken«, sagte Lars. »Bier?«
Pia schüttelte den Kopf. Sie musste noch fahren. Und seit Gablers Feier hatte sie ohnehin ein paar ganz besonders vernünftige Vorsätze gefasst. »Mineralwasser, Cola, irgendwas Antialkoholisches ...«
»Ich heiße Korittki und er Liebig, weil wir verschiedene Väter haben«, erklärte sie, als Lars wieder da war. »Meine Mutter hat Toms Vater geheiratet, da war ich fünf.«
»Und dein Vater heißt demnach Korittki?« Lars trank einen Schluck Bier und wischte sich den Schaum von der Oberlippe.
»Ich weiß nicht, wie er heißt.« Die Erkenntnis traf Pia mit voller Wucht: Familiengeschichten neigten dazu, sich zu wiederholen. In einer Endlosschleife. Bei anderen Leuten war das immer leicht zu durchschauen, während man bei sich selbst im Dunkeln tappte. Sie konzentrierte sich auf den Salat.
»Ist das nicht eine Herausforderung für dich?« Lars beugte sich ein Stück vor.
»Der Rucola-Salat? Es geht.«
Er grinste. »Wie kann eine Frau, die solche Mengen isst, so schlank sein?«
»Ich bekomme zu selten was!«
»Mich füttert auch keiner«, meinte er.
»Ich weiß. Du hast alles im Griff«, sagte Pia. Ihr Blick fiel auf das Babyfon, das neben ihr auf dem Tisch stand. Sie machte eine unbedachte Bewegung, und ihr rechtes Knie berührte unter dem Tisch Lars’ Bein. Es fühlte sich an wie ein Elektroschock.
»Warum hast du nicht angerufen?«, fragte er leise.
»Bei uns im Kommissariat brennt die Luft. Der Mordfall auf Fehmarn wird uns noch eine Weile auf Trab halten.«
»Da bist du rund um die Uhr dabei?«
Sie nickte und schob sich noch eine Scheibe Zucchini in den Mund.
»Ich kann schweigen wie ein Laternenpfahl. Also: Wer war’s?«
Pia lachte. Beinahe hätte sie sich zu einer unbedachten Geste hinreißen lassen und ihm die Hand auf den Unterarm gelegt, da sah sie Angelina Jolie, die zügigen Schrittes auf sie zusteuerte. Die Frau arbeitete in Lars’ Agentur und hieß Stella, wie Pia wusste.
Die Schöne tippte ihm auf die Schulter und zog einen Schmollmund. »Willst du nicht auch bald los, Lars? Sonst bestell ich mir ein Taxi.«
»Jetzt schon? Pia, das ist Stella, meine Assistentin im Büro. Stella, das ist Pia. Aber ihr seid euch schon mal begegnet. Pia war vor einer Weile mal bei uns. Polizei. Vielleicht erinnerst du dich?«
Stella hob fragend die Augenbrauen. Lars schob unbehaglich sein Bierglas hin und her. Das schabende Geräusch nervte.
Pia nickte Stella zu, schnappte sich das Babyfon und erhob sich. »Ich muss mir was von dem Nachtisch sichern, bevor er alle ist«, erklärte sie.
»Die rote Grütze ist sehr zu empfehlen«, sagte Stella lächelnd. »Die hat Tom nämlich selbst gekocht.«
Pia ging in Richtung Buffet, mit der deutlichen Ahnung, dass sich zwischen Lars und seiner »Assistentin« gleich eine kleine Szene anbahnte. Da wollte sie nur ungern dazwischenstehen. Stattdessen traf Pia in Reichweite des Buffets auf Andreas Mitak, einen von Marlenes Kollegen. Weitere Mitarbeiter der Firma Krüger gesellten sich dazu, und als Pia von Tom angestoßen wurde, weil ihr Babyfon, das sie auf einem der Stehtische abgestellt hatte, Geräusche von sich gab, spannte sich schon ein sternklarer Nachthimmel über den Innenhof.
»Da verlangt einer nach dir.«
»Ich muss mal eben nach oben gehen«, sagte sie und deutete auf das hellgraue Plastikgehäuse.
In der Wohnung kam ihr Marlene entgegen. »Felix schläft schon wieder«, meinte sie. »Ich habe eben vorsichtig bei ihm reingesehen.«
Pia dankte ihr, ging aber selbst noch mal nachschauen.
Felix lag schlafend in seinem Reisebett. Er schwitzte leicht, obwohl er nur einen Body trug und die dünne Decke weggestrampelt hatte. Für den Schlafsack war es seit Wochen zu warm. Pia, die in ihrem Job schon den einen oder anderen toten Säugling hatte sehen müssen – meistens waren es Fälle von plötzlichem Kindstod gewesen, die untersucht werden mussten –, war in puncto Schlafausstattung von Babys neurotisch. Sie zog die leichte Mulldecke über Felix’ nackte, krumme Beinchen und betrachtete noch eine Weile ihr schlafendes Kind. Dabei fasste sie den Vorsatz, ihm gegenüber ehrlich zu sein, was seinen Vater anging. Egal, wie
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