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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nicht.«
    Die ganz untypische Bitterkeit in seinen Worten erschreckte Renie. »Sie haben sie verhaftet? Nachdem sie soeben diese Männer gerettet hatten? Das ist ja abscheulich!«
    !Xabbu nickte. »Die Forscher protestierten dagegen, aber die Ranger waren die Sorte Mensch, die Angst hat, daß sie Schwierigkeiten kriegt, wenn sie Kleinigkeiten durchgehen läßt und es kommt heraus, deshalb verhafteten sie meinen Vater und seinen Verwandten und brachten sie fort. Einfach so. Sie nahmen sogar das Hartebeest als Beweisstück mit. Als mein Vater und sein Neffe schließlich die Stadt erreichten, war es ein verwesender, ungenießbarer Kadaver und wurde weggeworfen.
    Die Forscher schämten sich so sehr, daß sie sich ein anderes Fahrzeug liehen und zu den Leuten meines Vaters fuhren, um ihnen zu berichten, was vorgefallen war. Sie fanden sie nicht, aber dafür eine andere Gruppe Buschleute, und bald darauf erfuhren meine Mutter und die übrige Sippe von der Sache.
    Meine Mutter, die zwar nicht in der Stadtwelt gelebt hatte, aber wenigstens das eine oder andere darüber wußte, beschloß, loszugehen und mit der Obrigkeit zu reden, die sie sich als einen weisen Mann mit einem weißen Bart in einem großen Dorf vorstellte. Sie wollte ihm sagen, er müßte meinen Vater gehen lassen. Obwohl die anderen Familienmitglieder ihr dringend abrieten, nahm sie mich und machte sich auf den Weg in die Stadt.
    Aber natürlich war mein Vater inzwischen schon in die Großstadt überführt worden, weit weg, und bis meine Mutter dorthin gelangte, war er längst der Wilderei für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Er und mein Cousin wurden zusammen mit Männern eingesperrt, die schreckliche Verbrechen verübt hatten, die ihre eigenen Angehörigen erschossen, die Kinder oder Alte gefoltert und getötet hatten.
    Tag für Tag zog meine Mutter mit mir los und bettelte um die Freiheit meines Vaters, und Tag für Tag wurde sie mit harten Worten und Schlägen erst vom Gericht und später vom Gefängnis weggejagt. Sie fand einen Verschlag am Rand der Stadt für uns, zwei Sperrholzwände und ein Stück Blech als Dach, und zusammen mit den anderen armen Leuten durchwühlte sie die Abfallhaufen nach Eßbarem und Kleidung, denn sie war entschlossen, nicht eher fortzugehen, als bis mein Vater wieder frei war.
    Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie es für sie gewesen sein muß. Ich war so klein, daß ich das alles nicht verstand. Ich habe nur ganz düstere Erinnerungen an die Zeit damals – sehe die hellen Lichter eines Lastwagens durch die Ritzen zwischen den Brettern scheinen, höre Leute in anderen Hütten streiten und laut singen. Aber für sie muß es eine furchtbare Zeit gewesen sein, allein und so weit weg von den Ihren. Sie gab nicht auf. Sie war sicher, wenn sie nur den richtigen Mann fände – ›die richtige Obrigkeit‹, wie sie meinte –, dann würde der Irrtum sich aufklären, und mein Vater dürfte nach Hause.
    Mein Vater, der sich noch weniger mit der Stadtwelt auskannte als sie, wurde krank. Nach wenigen Besuchen durfte er meine Mutter nicht mehr sehen, obwohl sie weiterhin jeden Tag zum Gefängnis kam. Mein Vater wußte nicht einmal, daß sie noch in der Stadt war, nur wenige hundert Meter von ihm entfernt. Er und sein Neffe verloren ihre Zuversicht, verloren ihre Geschichten. Ihre Seelen wurden sehr schwach, und sie hörten auf zu essen. Nach nur wenigen Monaten im Gefängnis starb mein Vater. Sein Neffe hielt länger durch. Mir wurde erzählt, er sei einige Monate später in einem Kampf umgekommen.«
    »Oh, !Xabbu , wie schrecklich!«
    Er hob die Hand, als ob Renies Ausruf des Mitgefühls ein Geschenk wäre, das er nicht annehmen konnte. »Meine Mutter durfte nicht einmal die Leiche meines Vaters mit zurück in die Wüste nehmen. Statt dessen wurde er auf einem Friedhof neben der Barackensiedlung begraben. Als Grabzeichen hängte meine Mutter seine Kette mit Perlen von Straußeneierschalen an einen Holzstock. Ich bin dagewesen, aber ich konnte sein Grab nicht finden.
    Meine Mutter machte sich mit mir auf den langen Rückweg. Es wäre ihr unerträglich gewesen, wieder in die Wüste zu gehen, an den Ort, den sie mit meinem Vater verband, deshalb zog sie zu ihrer eigenen Familie, und dort wuchs ich auf. Nach nicht allzu vielen Jahren fand sie einen anderen Mann, einen guten Mann. Er war ein Buschmann, aber seine Leute hatten die Wüste schon vor langem verlassen. Er kannte die alten Bräuche nicht und

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