Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Nähe war, die Stellen riechen konnte, wo dicht unter dem Sand Wasser stand. Ich fand langsam zum alten Leben zurück, aber die Sippe meines Vaters oder andere freie Buschleute fand ich nicht. Zuletzt begab ich mich zu den heiligen Stätten, den Bergen, wo die Menschen auf die Felsen gemalt hatten, aber es gab kein Zeichen eines Aufenthalts aus jüngerer Zeit. Da wurde mir wirklich angst um die Meinen. Jedes Jahr waren sie dorthin gezogen, um den Geistern der ersten Menschen ihre Achtung zu erweisen, aber jetzt waren sie lange nicht mehr dagewesen. Das Volk meines Vaters war fort. Vielleicht sind sie alle tot.
Ich verließ die Wüste, aber etwas in mir hatte sich für alle Zeit verändert. Ich gelobte mir, daß das Leben meines Volkes nicht einfach spurlos verschwinden sollte, daß die Geschichten vom Ichneumon und vom Stachelschwein und vom Morgenstern nicht in Vergessenheit geraten und die alten Bräuche nicht unter dem Sand begraben werden sollten, so wie der Wind die Fußspuren eines Mannes verweht, wenn er gestorben ist. Was auch getan werden mußte, um etwas von ihnen zu bewahren, ich wollte es tun. Dazu mußte ich die Wissenschaft der Stadtmenschen erlernen, die, so glaubte ich damals, alles vermochte.
Abermals waren die Leute im ›Kreis‹ großzügig, und mit ihrer Hilfe kam ich nach Durban, um zu studieren, wie die Stadtmenschen sich Welten erschaffen. Denn das ist es, was ich tun möchte, Renie, was ich tun muß – ich muß die Welt meines Volkes wiedererschaffen, die Welt des Urgeschlechts. In unserer Zeit, auf unserer Erde wird es sie nie wieder geben, aber sie sollte nicht für immer verloren sein!«
!Xabbu verstummte, wiegte sich still hin und her. Seine Augen waren trocken, aber sein Schmerz war offensichtlich.
»Also ich finde das wunderbar«, sagte Renie schließlich. Wenn ihr Freund schon nicht weinte, sie tat es. »Ich finde, das ist das beste Argument für die VR, das ich je gehört habe. Warum bist du jetzt so unglücklich, wo du doch so viel gelernt hast, wo du deinem Ziel so viel näher bist?«
»Weil ich, als ich mit dir an diesem schrecklichen Ort war und du um mein Leben kämpftest, in meinen Gedanken fortging in eine andere Welt. Das ist schändlich, daß ich dich im Stich ließ, aber ich konnte nichts dagegen machen, und deshalb bin ich jetzt traurig.« Er blickte sie an, und jetzt sah sie wieder die Angst. »Ich begab mich an den Ort der ersten Menschen. Ich weiß nicht warum oder wie, aber während du all die Dinge erlebtest, von denen du mir in der Notaufnahme erzähltest, war ich irgendwo anders. Ich sah den guten Großvater Mantis, wie er zwischen den Hörnern seines Hartebeests ritt. Seine Frau Kauru war dort, auch seine beiden Söhne Kwammanga und Ichneumon. Aber wer mit mir sprach, war das Stachelschwein, seine geliebte Tochter. Sie erzählte mir, daß sogar der Ort jenseits der Welt, der Ort der ersten Menschen, in Gefahr sei. Bevor der Honiganzeiger kam, um mich zurückzuführen, erzählte sie mir, daß der Ort, an dem wir uns befanden, bald eine große Leere wäre, daß die ersten Menschen nach und nach verdrängt würden, genau wie die Stadtwelt, in der du und ich sitzen, mein Volk in seiner Wüste nach und nach verdrängt hatte.
Wenn das stimmt, dann spielt es keine Rolle mehr, ob ich die Welt meines Volkes neu errichte oder nicht, Renie. Wenn die ersten Menschen von ihrem Ort jenseits dieser Erde vertrieben werden, dann wird alles, was ich mache, nur eine leere Hülse sein, das hohle Gehäuse eines Käfers, das übrigbleibt, wenn der Käfer gestorben ist. Ich will eure Wissenschaft nicht bloß benutzen, um ein Museum zu machen, Renie, einen Ort, an dem die Städter sehen können, was einmal lebendig war. Verstehst du? Ich möchte eine Wohnung schaffen, wo etwas von meinem Volk für alle Zeit leben wird. Wenn die Wohnung der ersten Menschen vergeht, dann wird der Traum, der uns träumt, uns nicht mehr träumen. Das ganze Leben meines Volkes, seit dem Uraufgang aller Dinge, wird nichts weiter sein als im Wind verwehende Spuren.
Und aus diesem Grund kann ich die Sonne nicht mehr klingen hören.«
Schweigend saßen sie eine Weile da. Renie schenkte sich noch ein Glas Wasser ein und bot !Xabbu etwas an, aber er schüttelte den Kopf. Sie verstand nicht, was er sagte, und einem Teil von ihr war nicht wohl dabei, ungefähr so, wie wenn ihre christlichen Kollegen vom Himmel sprachen oder die Moslems von den Wundern des Propheten. Aber die tiefe Niedergeschlagenheit des
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