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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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der Can im Kopf.
    »Entschuldige. Ich hab nur grad über was nachgedacht.«
    »Ich wollte dich fragen, was das eigentlich für eine Frau ist, zu der wir fahren.«
    Sie nickte. »Ich wollte es dir vorhin schon erzählen, ich bin nur … abgedriftet. Ich habe früher bei ihr studiert. An der Universität von Natal.«
    »Und sie war Professorin für … wie nennt sich das Fach? ›Vitualitätstechnik‹?«
    Renie lachte. »Das ist die offizielle Bezeichnung, richtig. Hört sich komisch an, nicht? Etwa wie Doktor der Elektrizität oder so. Aber sie war brillant. Jemand wie sie ist mir nie wieder begegnet. Und sie war eine echte Südafrikanerin, im besten Sinne des Wortes. Als der Rand so tief fiel, daß alle andern weißen Professoren – und sogar viele der asiatischen und schwarzen – sich in Europa und Amerika bewarben, lachte sie bloß darüber. ›Van Bleecks gibt es hier seit dem sechzehnten Jahrhundert‹, sagte sie immer. ›Wir sind schon so lange hier, daß man die Wurzeln nicht mehr ausreißen kann. Wir sind keine Afrikaander, Herrgott nochmal, wir sind Afrikaner!‹ So heißt sie übrigens – Susan Van Bleeck.«
    »Wenn sie deine Freundin ist«, erklärte !Xabbu feierlich, »dann wird sie auch meine Freundin sein.«
    »Du wirst sie mögen, da bin ich sicher. Mein Gott, ich hab sie schon so lange nicht mehr leibhaftig gesehen. Es müssen fast zwei Jahre sein. Aber als ich sie anrief, sagte sie einfach: ›Komm doch vorbei, wir können zusammen zu Mittag essen.‹ Als ob ich jede zweite Woche bei ihr vorbeischauen würde.«
    Der Bus hatte jetzt zu kämpfen, die steilen Hügel nach Kloof hinaufzukommen. Die Häuser, die weiter unten so dicht gedrängt standen, wirkten hier auf der Anhöhe, wo jedes peinlich Abstand von seinen Nachbarn hielt und sich mit einem vornehmen Schirm aus Bäumen umgab, etwas elitärer.
    »Der klügste Mensch, den ich kenne«, sagte Renie.
     
    An der Bushaltestelle wartete ein Auto auf sie, ein teuer aussehender elektrischer Ihlosi. Daneben stand in makelloser legerer Kleidung ein hochgewachsener schwarzer Mann mittleren Alters, der sich ihnen als Jeremiah Dako vorstellte. Ohne weitere Erklärungen bedeutete er Renie und !Xabbu , auf dem Rücksitz des Wagens Platz zu nehmen. Renies Bemerkung, einer von ihnen könnte gern vorne sitzen, quittierte der Mann nur mit einem kühlen Lächeln. Nachdem ihre anfänglichen Gesprächsangebote ihm nur minimale Erwiderungen entlockt hatten, gab sie es auf und betrachtete die vorbeigleitende Landschaft.
    So wenig er für Geplauder übrig hatte, so sehr schien sich Jeremiah für !Xabbu zu interessieren, jedenfalls schloß Renie das aus der Häufigkeit, mit der er den Buschmann im Rückspiegel beäugte. Die Gegenwart des kleinen Mannes schien nicht gerade seinen Beifall zu finden, aber nach dem, was sie bisher von Herrn Dako gesehen hatte, gab es nicht viel, was seinen Beifall fand. Dennoch erinnerten sie seine verstohlenen Blicke an die Reaktion ihres Vaters. Vielleicht hatte auch dieser Mann geglaubt, die Buschleute gäbe es nur noch in der Erinnerung.
    Als sie durch das Sicherheitstor fuhren (die Flinkheit, mit der Dako den Code eintippte und den Daumen auf den Sensor legte, bewies die Eingespieltheit einer alten Routine), tauchte plötzlich am Ende einer langen Allee das Haus auf wie ein Bild aus einem Traum – hoch, sauber, einladend und genauso groß, wie sie es in Erinnerung hatte. Renie hatte Doktor Van Bleeck nur ein paarmal vor langer Zeit zuhause besucht, deshalb war sie über die Maßen erfreut, daß es ihr so bekannt vorkam. Dako rollte in die bogenförmige Auffahrt und hielt vor dem säulengeschmückten Vorbau. Die Wirkung der Größe wurde durch die Sessel und Liegestühle gemildert, die verstreut zu beiden Seiten der Haustür standen. Susan Van Bleeck saß in einem der Sessel und las ein Buch; ihr weißes Haar leuchtete vor dem dunklen Hintergrund wie eine Kerzenflamme. Sie sah auf, als das Auto anhielt, und winkte.
    Renie warf die Wagentür auf, was ihr einen säuerlichen Blick vom Fahrer eintrug, der sie ihr gerade hatten öffnen wollen. »Bleib sitzen!« rief sie und eilte die Treppe hoch und umarmte ihre Gastgeberin, nicht ohne insgeheim einen Schreck zu bekommen, wie klein und vogelartig die alte Frau sich anfühlte.
    »Unbedingt.« Susan lachte. »Es würde dir garantiert zu lange dauern, bis ich aufgestanden wäre.« Sie deutete auf die Räder an ihrem Stuhl, die unter der Schottendecke über ihren Knien unsichtbar gewesen

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