Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
zumute, als hätte sie sich strafbar gemacht. »Hast du dich mit Verbrechern eingelassen, Irene?«
Sie beherrschte sich, nicht das Gesicht zu verziehen, als der verhaßte Name fiel. »Ich weiß es nicht. Ich möchte eigentlich noch nicht darüber reden. Aber wenn sie solche Sachen machen, wie ich glaube, dann sollte dieser Verein ausgeräuchert werden wie ein Nest giftiger Schlangen.«
Susan sank mit sorgenvollem Gesicht in die Polsterung ihres Rollstuhls zurück. »Ich werde deine Privatsphäre respektieren, Irene, aber die Sache gefällt mir nicht besonders. Wie bist du da hineingeraten?« Sie blickte zu !Xabbu hinüber, als ob er die Ursache sein könnte.
Renie zuckte mit den Achseln. »Sagen wir, ich glaube, daß sie etwas haben, was mir wichtig ist und was ich wiederhaben will.«
»Na schön, ich geb’s auf. Ich hatte noch nie die Geduld zu Ratespielen à la Miss Marple. Schauen wir mal, was du hast. Kommt.«
Sie fuhr Renie und !Xabbu in ihrem leisen Rollstuhl den Flur hinunter voraus. Zwei Flügel wie von einer gewöhnlichen Verandatür gingen auf, und dahinter erschien ein kleiner Lastenaufzug.
»Ich danke Gott, daß ich dieses Ding habe einbauen lassen«, sagte die Professorin. »Quetscht euch mit rein. Wenn ich mit dieser Hüftgeschichte nur die Treppe gehabt hätte, wäre ich schon seit Monaten nicht mehr hier runtergekommen. Na ja, vielleicht hätte ich mich von Jeremiah tragen lassen können. Das wäre ein Bild für Götter gewesen.«
Der Keller schien beinahe so weitläufig zu sein wie das Haus selbst. Einen großen Teil davon nahm das Labor ein, in dem mehrere Reihen Tische in der typischen Experimentieranordnung standen. »Ein heilloses Kuddelmuddel«, war Susan Van Bleecks Beschreibung.
»Ich habe bereits ein sauberes autonomes System, und mit der Virenprüfung, die ich daran vorgenommen habe, bin ich fertig«, sagte sie. »Das könnten wir nehmen. Ihr möchtet wahrscheinlich lieber auf einem Monitor zuschauen, stimmt’s?«
Renie nickte emphatisch. Selbst wenn Doktor Van Bleeck da war und ihr im Notfall helfen konnte, dachte sie nicht daran, voll in irgendein Environment einzutauchen, um herauszufinden, was für ein Geschenk die Haie von Mister J’s ihr mitgegeben hatten. Den Streich wollte sie nicht zweimal mit sich spielen lassen.
»Dann mal los. Wirf dein Pad an, und laß es uns versuchen. Lade die hier, damit ich ein bißchen Diagnostik treiben kann, bevor wir es auf das neue System übertragen.«
Nach mehreren Minuten ließ die Professorin ihre Steuergeräte auf die Schoßdecke sinken und zog wieder eine ihrer Kindergrimassen. »Ich komm nicht rein in das verdammte Ding. Aber du hast recht, es ist sehr seltsam. Als Abwehrmaßnahme wäre es ein ziemlicher Quatsch. Man bestraft einen doch nicht, wenn man etwas in sein System einschmuggelt, das zu groß ist, um sich aktivieren zu lassen. Na, egal. Schalte dich dazu.«
Renie verband ihr Pad mit der dedizierten Maschine der Professorin. Von da an ging alles sehr rasch.
»Es überspielt sich. Genauso, wie es sich neulich auf mein Pad runtergeladen hat.«
»Aber es schickt keine Kopie, das ganze Ding wechselt über.« Stirnrunzelnd beobachtete Susan, wie die Diagnostik durch ihre diversen Berechnungen raste. Renie empfand fast Mitleid für die ganzen Spezialprogramme, als ob sie lebendige Wesen wären, winzige kleine Wissenschaftler, die händeringend und heftig debattierend versuchten, ein vollkommen fremdes Objekt zu klassifizieren.
»Ich weiß«, sagte Renie. »Es gibt keinen Sinn …« Sie brach konsterniert ab. Der Monitor leuchtete auf einmal heller. Die Diagnoseebene mit ihren Zahlen und Symbolen und Diagrammen verschwand völlig, wie von einem Feuer weggebrannt. Irgend etwas nahm auf dem Bildschirm Gestalt an.
»Was zum Teufel ist das?« Susan klang ärgerlich, aber in ihrer Stimme schwang echte Besorgnis mit.
»Es ist… eine Stadt.« Renie beugte sich vor. Fast wäre sie in ein hysterisches Lachen ausgebrochen. Es war wie in einem alten Spionagethriller, wo jemand einen geheimen Mikrofilm gestohlen hat und dann feststellt, daß Urlaubsfotos drauf sind. »Es ist Bildmaterial von einer Stadt.«
»So eine Stadt habe ich noch nie gesehen.« Susan beugte sich ebenfalls vor, und der hinter ihrem Rollstuhl stehende !Xabbu genauso. Das Licht vom Monitor ließ ihre Gesichter golden erglühen. »Seht doch – habt ihr jemals solche Autos gesehen? Es ist irgendein Science-Fiction-Clip, ein Netzfilm.«
»Nein, es ist real.« Renie
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