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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wirklich schmecken kannst du keinen von beiden. Du kannst kein Bild essen – oder wenigstens wäre es etwas anderes, als einen realen Apfel zu essen. Es ist nur ein Symbol für etwas Reales, egal, wie realistisch es aussieht. Verstanden?«
    !Xabbu lachte. »So weit verstehe ich dich.«
    »Der Unterschied nun zwischen etwas Vorgestelltem – einem Begriff – und einem realen Ding war früher eine ziemlich fraglose Sache. Auch das realistischste Bild eines Hauses war nur ein Bild. Man konnte sich vorstellen, wie es wäre, hineinzugehen, aber man konnte nicht wirklich hinein, einfach weil es die Erfahrung, in ein reales Haus zu gehen, mit allem was dazugehört, nicht vollständig reproduzierte. Aber wenn man nun etwas herstellen kann, das sich wie ein reales Ding anfühlt, so schmeckt, so riecht, aber nicht das Ding ist, eigentlich gar kein ›Ding‹ ist, sondern nur das Symbol eines Dings, wie ein Bild – was ist dann?«
    »Es gibt Stellen in der Kalahari«, sagte !Xabbu langsam, »wo man Wasser sieht, einen Tümpel mit frischem Wasser. Aber wenn man hingeht, ist es weg.«
    »Ein Trugbild.« Renie wedelte kurz mit der Hand, und am anderen Ende der Simulation erschien ein Wassertümpel.
    »Ein Trugbild«, stimmte !Xabbu zu. Er schien ihr Bildbeispiel zu ignorieren. »Aber wenn man es anfassen könnte, und es wäre naß, wenn man es trinken könnte, und es stillte den Durst – wäre es dann nicht Wasser? Es ist schwer, sich etwas vorzustellen, was zugleich real und nicht real ist.«
    Renie führte ihn über den kahlen weißen Boden der Simulation zu dem Tümpel, den sie herbeigezaubert hatte. »Schau dorthin. Siehst du die Reflexionen? Jetzt schau, was ich mache.« Sie kniete sich hin und schöpfte mit ihren Simuloidenhänden Wasser. Es floß zwischen ihren Fingern hindurch und rieselte in den Tümpel. Ringförmige Kräuselwellen überschnitten sich mehrfach. »Dies ist eine sehr einfache Anlage – das heißt, deine Interfaceteile, die Brille und die Sensoren, die du gerade angelegt hast, sind nicht gerade auf dem neuesten Stand. Aber selbst mit dem, was wir haben, sieht das doch wie Wasser aus, oder? Bewegt sich wie Wasser?«
    !Xabbu bückte sich und strich mit seinen grauen Fingern durch den Tümpel. »Es fließt etwas seltsam.«
    Renie winkte ab. »Mit mehr Geld und Zeit kriegt man es realistischer. Es gibt Simulationsapparaturen, die so gut sind, daß dies hier sich nicht nur genau wie wirkliches Wasser bewegen würde, sondern daß du es auch kalt und naß auf der Haut fühlen würdest. Und dann gibt es ›Cans‹ – neurokanulare Implantate –, an die du und ich nie herankommen werden, es sei denn, wir arbeiten irgendwann einmal für die staatlichen Spitzenlabors. Damit kannst du dir computersimulierte Empfindungen direkt ins Nervensystem einspeisen. Wenn du eine von denen hättest, dann könntest du dieses Wasser trinken, und es würde sich genauso anfühlen und genauso schmecken wie echtes.«
    »Aber es würde nicht meinen Durst löschen, nicht wahr? Ohne echtes Wasser zu trinken, würde ich sterben.« Er klang nicht besorgt, nur interessiert.
    »Allerdings. Daran sollte man immer denken. Vor ein oder zwei Jahrzehnten gab es alle paar Wochen Meldungen darüber, daß wieder ein Netboy oder ein Netgirl gestorben war – sie hatten sich zu lange unter simulierten Bedingungen aufgehalten und dabei völlig vergessen, daß sie richtiges Essen und richtiges Wasser brauchten. Von Kleinigkeiten wie Druckstellen ganz zu schweigen. Sowas kommt heute nicht mehr oft vor – zu viele Schutzvorrichtungen bei den kommerziellen Produkten, zu viele Restriktionen und Alarmauslöser beim Netzzugang an Universitäten und in Unternehmen.«
    Renie winkte, und das Wasser verschwand. Sie winkte abermals, und ein Wald aus immergrünen Bäumen füllte plötzlich den leeren Raum um sie herum, hoch aufragende Säulen mit rötlicher rissiger Rinde und diffusen dunkelgrünen Laubmassen hoch oben. !Xabbus scharfes Einatmen verschaffte ihr eine kindliche Befriedigung. »Es ist nur eine Frage von Eingabe und Ausgabe«, sagte sie. »Genau wie früher jemand vor einem flachen Bildschirm saß und Befehle über ein Keyboard eingab, so bewegen wir heute auf bestimmte Weise die Hände und zaubern. Aber es ist nicht gezaubert. Es ist bloß eine Eingabe, mit der man dem Rechenteil der Anlage sagt, was er tun soll. Und statt daß das Ergebnis vor uns auf einem Bildschirm erscheint, erhalten wir die Ausgabe in Form von stereoskopischen

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