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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Visualisierungen«, sie deutete auf die Bäume, »Geräuschen«, sie machte wieder eine Geste, und leises Vogelgezwitscher erfüllte den Wald, »und was wir sonst noch wollen. Was geht und was nicht geht, richtet sich allein nach der Leistungsfähigkeit der Prozessoren und der Interfaceteile.«
    Renie rundete das Bild noch ein wenig ab, indem sie über das vielverästelte Gezweig eine Sonne an den Himmel setzte und den Waldboden mit Gras und kleinen weißen Blumen bedeckte. Als sie fertig war, breitete sie mit leichter Theatralik die Hände aus. »Siehst du, man braucht nicht mal die ganze Arbeit selbst zu machen – die Maschinen sorgen dafür, daß die Details stimmen, Winkel und Schattenlängen und so. Diese Sachen sind einfach. Die Grundlagen hast du schon gelernt – in wenigen Wochen wirst du sowas selber machen.«
    »Als ich das erste Mal meinem Großvater zusah, wie er einen Fischspeer machte«, sagte !Xabbu langsam, »dachte ich auch, es sei gezaubert. Seine Finger bewegten sich so schnell, daß ich nicht erkennen konnte, was sie machten. Sie hackten hier, drehten dort, zwirbelten die Schnur – und auf einmal war der Speer fertig!«
    »Genau. Der einzige Unterschied ist, daß, wenn du unter diesen Bedingungen hier die besten Fischspeere machen willst, du jemanden finden mußt, der das bezahlt. Eine VR-Ausstattung fängt mit dem einfachen Zeug an, das jeder zuhause hat – jeder außerhalb des Okawangobeckens, heißt das -« Sie wünschte, er könnte sie lächeln sehen; sie hatte die Bemerkung nicht böse gemeint. »Aber um an die Spitzenprodukte ranzukommen, mußt du eine Diamantenmine oder zwei besitzen. Oder ein kleines Land. Doch selbst an einer Provinzuni wie dieser mit ihrem alten Klapperkram kann ich dir eine Menge zeigen.«
    »Du hast mir bereits eine Menge gezeigt, Frau Sulaweyo. Könnten wir jetzt etwas anderes machen? Dürfte ich etwas machen?«
    »In VR-Environments etwas zu erschaffen …« Sie stockte und überlegte, wie sie es erklären sollte. »Ich kann dir zeigen, wie du etwas tun, wie du Sachen machen kannst, aber in Wirklichkeit wärst du nicht der gestaltende Teil. Nicht auf diesem Niveau. Du würdest lediglich ein paar extrem leistungsfähigen Programmen sagen, was du haben willst, und die würden es dir geben. Das kann man machen, aber zuerst solltest du dir die Basistechniken aneignen. Das wäre so, als ob dein Großvater die ganze Arbeit an dem Speer gemacht hätte und dir jetzt den letzten Handgriff überließe. Du hättest den Speer nicht gemacht, und du hättest auch nicht gelernt, wie du selber einen machen kannst.«
    »Du willst damit sagen, daß ich zuerst das richtige Holz finden muß, lernen muß, wie man die Speerspitze erkennt und formt, wo man den ersten Hieb ansetzt.« Er breitete seine Simuloidenarme auf drollige Weise aus. »Ja?«
    Sie lachte. »Ja. Aber wenn du mir versprichst, nicht zu vergessen, daß noch eine Menge weniger spektakulärer Arbeit zu tun ist, bevor derartige Sachen etwas bringen, will ich dir zeigen, wie du etwas machen kannst.«
    Unter Renies geduldiger Anleitung studierte !Xabbu die Handbewegungen und Körperhaltungen ein, mit denen man den Mikroprozessoren Befehle gab. Er lernte rasch, und sie fühlte sich abermals an die Art und Weise erinnert, wie Kinder das Netz erlernten. Wenn man Erwachsenen eine neue Aufgabe stellte, versuchten die meisten, sie logisch zu durchdringen, und gerieten dabei häufig in Sackgassen, wenn ihre Denkmodelle den neuen Umständen nicht entsprachen. Aber trotz seiner offensichtlichen Intelligenz ging !Xabbu die VR viel intuitiver an.
    Statt sich etwas Bestimmtes vorzunehmen und dann mit Gewalt zu versuchen, daß die Anlage seine Vorstellungen umsetzte, ließ er sich von den Mikroprozessoren und der Software zeigen, was sie konnten, und verfolgte dann die Richtungen weiter, die ihn interessierten.
    Während sie zusahen, wie seine ersten Ansätze, Formen und Farben zu steuern, wie aus dem Nichts erschienen und wieder verschwanden, fragte er sie: »Aber wozu diese ganzen Mühen und Kosten, um die Realität zu … fingieren – ist das das richtige Wort? Warum wollen wir die Realität überhaupt fingieren?«
    Renie zögerte. »Na ja, indem wir lernen, die Realität zu … fingieren, können wir Sachen machen, die es nur in unserer Phantasie geben kann, wie Künstler es von jeher getan haben, oder anschaulich vorführen, was wir gern herstellen würden, wie Architekten es tun, wenn sie einen Bauplan zeichnen. Aber wir können

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