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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Inneren Distrikt betreten wollte, brauchte dazu einen Simuloiden: Die Elite des Netzes wollte keine unsichtbaren Gaffer zu befürchten haben. Renie wäre am liebsten im äußersten Minimum aufgetreten – einem gesichts- und geschlechtslosen Ding ähnlich einem Fußgänger auf einem Verkehrsschild –, aber ein primitiver Sim zeugte von Armut, und mit nichts machte man sich am Gateway zum Inneren Distrikt schneller verdächtig. Sie entschied sich schließlich für einen androgynen Dienst-Sim, der hoffentlich gerade genug Mienenspiel und Körpersprache zuließ, um sie als Botengänger irgendeines reichen Netzmagnaten erscheinen zu lassen. Die Kosten müßten, durch mehrere Buchungsvorgänge gefiltert, unter den Betriebsausgaben der Hochschule in einem Nebenposten auftauchen; wenn sie schnell genug drinnen und wieder draußen war, durfte der Betrag eigentlich niemandem auffallen.
    Dennoch war ihr das Risiko zuwider, und die Unredlichkeit noch mehr. Wenn sie Stephen gefunden und dort aus der Patsche gezogen hatte, würde sie ihm gründlich den Kopf waschen.
    Aber er hatte sich so verängstigt angehört…
    Das Gateway zum Inneren Distrikt war ein leuchtendes Rechteck am Fuß einer Fläche, die eine kilometerhohe Mauer aus weißem Granit zu sein schien, taghell erleuchtet, obwohl an der Kuppel des simulierten schwarzen Himmels nirgends eine sichtbare Sonne schien. Ein Getümmel von Figuren wartete darauf, datenverarbeitet zu werden, einige davon mit wilden Körperformen und knalligen Farben – es gab einen besonderen Typ von Gaffern, die am Zugang herumstanden, obwohl sie nicht auf Einlaß hoffen konnten, so als wäre der Innere Distrikt ein Club, der plötzlich beschließen könnte, daß die Kundschaft an dem Abend etwas bunter werden müßte –, aber die meisten waren so funktional bekörpert wie Renie, und alle hielten sich an ungefähr menschliche Maße. Es war ein Witz, daß dort, wo die Konzentration von Reichtum und Macht im Netz am größten war, die Geschwindigkeit wieder so langsam wurde wie der schleppende Gang der Dinge in der wirklichen Welt. In ihrer Mediathek oder im Informationsnetz der TH konnte sie mit einer einzigen Geste an jeden Ort springen, an den sie wollte, oder sich genauso rasch alles basteln, was sie brauchte, aber der Innere Distrikt und andere Zentren der Macht zwangen Benutzer in Sims und behandelten die Sims dann genau wie richtige Leute: trieben sie in virtuelle Büros und Kontrollstellen und ließen sie elend lange warten, während ihre Anschlußgebühren stetig stiegen.
    Wenn die Politiker je eine Möglichkeit finden, das Licht zu besteuern, dachte sie mürrisch, werden sie wahrscheinlich auch Wartezimmer für die Prüfung von Sonnenstrahlen einrichten. Sie stellte sich hinter einem gebückten grauen Etwas in die Schlange, einem Sim der untersten Kategorie, dessen hängende Schultern bereits die Erwartung der Abweisung erkennen ließen.
    Nach einer unerträglich lange erscheinenden Wartezeit wurde der Sim vor ihr erwartungsgemäß abgewiesen, und sie stand zu guter Letzt einem Funktionär gegenüber, der so sehr nach einer Witzfigur aussah, daß sie es kaum glauben konnte. Er war klein und hatte ein Nagetiergesicht mit einer altmodischen Brille auf der Nasenspitze, über die zwei kleine, mißtrauische Augen spähten. Bestimmt war er ein Replikant, dachte sie, ein Programm mit dem Aussehen eines Menschen. Kein Mensch konnte dermaßen wie ein mieser, kleiner Bürokrat aussehen oder würde, wenn doch, sein Aussehen im Netz beibehalten, wo man sich gestalten konnte, wie man wollte.
    »Anliegen im Inneren Distrikt?« Sogar seine Stimme klang gepreßt wie ein Kazoo, als ob sie durch etwas anderes käme als die normale Mundöffnung.
    »Sendung an Johanna Bundazi.« Die Rektorin der Technischen Hochschule unterhielt, wie Renie wußte, einen kleinen Netzknoten im Inneren Distrikt.
    Der Funktionär blickte sie eine ganze Weile feindselig an. Irgendwo rechneten Rechner. »Frau Bundazi ist zur Zeit nicht anwesend.«
    »Ich weiß.« Sie wußte es wirklich – sie hatte sich das genau zurechtgelegt. »Ich soll etwas persönlich an ihren Knoten zustellen.«
    »Warum? Sie ist nicht hier. Es wäre sicher sinnvoller, es an den Knoten zu senden, auf den sie gerade zugreift.« Abermals eine kurze Pause. »Sie ist im Augenblick an keinem Knoten erreichbar.«
    Renie bemühte sich, ruhig zu bleiben. Das mußte ein Replikant sein – die Simulation bürokratischer Engstirnigkeit war zu perfekt. »Ich weiß

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